Sieben Titanrenner im Test
Träume aus Titan

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Sie sind edel, komfortabel und die Krönung der Handwerkskunst: RoadBIKE ergründet die Aura, die Titanrenner umgibt.

RB Test Titan-Renner Teaserbild
Foto: Tino Pohlmann

Betörend. Verlockend. Unwiderstehlich. Aber unbezahlbar. Titan hat für Rennradfahrer die gleiche Anziehungskraft wie ein Ferrari für Autoliebhaber. Jeder träumt davon, aber kaum jemand kann es sich leisten. Wer einen Titanrahmen hat, am besten auf Maß gebaut, kann Eindruck schinden – mit diesem edlen, matt schimmernden Material, das nahezu unzerstörbar ist und ein Leben lang hält.

"Technisch überholt, zu weich, zu schwer und nur was für Menschen mit zu viel Geld", entgegnen dagegen Neider und Skeptiker, die längst wissen, dass Carbon das Material ist, mit dem sich nicht nur Leichtbau, sondern auch Steifigkeit und Komfort vereinbaren lassen.

Was aber ist dran am Mythos Titan? Wie gut sind Titanrennräder wirklich? Und wie viel muss ein guter Titanrahmen kosten? RoadBIKE geht diesen Fragen genau auf den Grund und hat sieben Titanrahmen unter die Lupe genommen.

Einerseits im Labor, um zu sehen, wie die Rahmen verarbeitet sind, welche Steifigkeitswerte sie erreichen und wie stark sie Vibrationen dämpfen können. Andererseits aber auch in der Praxis, um zu erfahren, wie sich ein aufgebauter Titanrahmen auf der Straße anfühlt und welche Unterschiede zwischen den Testrahmen auszumachen sind.

Das ganze Spektrum

Das Testfeld bildet das ganze Spektrum ab, das sich Titan-Interessierten bietet – mit Rahmenpreisen von 1070 bis 3795 Euro: Seven und Moots stehen für die Kunst, mit der US-Marken zu Beginn der 80er den Titankult begründeten und seitdem maßgeblich prägen. Und dazu gehört, streng genommen, auch der Rahmen von Cube, denn er wird in den USA bei Litespeed, der Kultmarke von David Lynskey, gefertigt.

Ähnlich edel wie die US-Renner präsentiert sich Nevi aus Italien, wo in den frühen 90ern viele der großen Namen auf Titan setzten: Es schien dort vor dem Carbonhöhenflug das Material der Zukunft zu sein. Deutlich günstigere Vertreter senden die Berliner Marke Kocmo und der Versender Radon in den Test – beide Titanrahmen werden in Russland gefertigt.

Die niederländische Marke Van Nicholas schließlich stellt den günstigsten Testkandidaten mit einem in China produzierten Rahmen. Kocmo, Radon und Van Nicholas setzen damit bewusst einen Kontrapunkt zu den sündhaft teuren Luxusrahmen, der voll im Trend liegt: Titanrahmen mit gutem Preis-Leistungs-Verhältnis. Übrigens: Andere namhafte Titanmarken wie Litespeed, Merlin, De Rosa oder Bianchi schickten keine Räder in diesen Test – trotz einer Vorlaufzeit von rund einem Vierteljahr.

Die Preisfrage

Die Herkunft der Testräder beschreibt, in West-Ost-Richtung, auch das Preisgefüge. Die US-Rahmen im Test, mit Preisen weit über 3000 Euro, für den nackten Rahmen wohlgemerkt, sind für die meisten unbezahlbar. Kaum günstiger ist das Nevi aus Italien.

Hauptgrund für diese exorbitanten Preise ist die extrem aufwendige und schwierige Verarbeitung des ohnehin schon sehr teuren Materials: Titan kostet rund zehnmal so viel wie Aluminium. Zudem verlangt es teure Schneidewerkzeuge, die Herstellung der Rohre durch Ziehen oder Schweißen aus Blechen ist zeitintensiv und anspruchsvoll, wie auch das Schweißen selbst. Titan reagiert leicht mit Sauerstoff, was zu Verödungen führen kann.

Daher wird mit Schutzgas, meist Argon, gearbeitet, das den Rahmen beim Schweißen überfließt, wenige Hersteller arbeiten in geschlossenen Kammern – eine buchstäblich schweißtreibende Arbeit für die Schweißer. Titan zu verarbeiten, ist folglich extrem zeitaufwendig. Arbeitszeit, die in den USA und Europa selbstverständlich deutlich höher zu Buche schlägt als in Russland oder Asien.

Das ist auch einer der wesentlichen Gründe, warum die Testrahmen von Kocmo, Radon und Van Nicholas deutlich günstiger – von 1070 bis 1999 Euro – über den Tresen gehen.

Qualität nach Augenmaß

Doch bedeuten günstigere Preise auch zwangsläufig schlechtere Qualität? Ohne Zweifel: Das höchste der Gefühle an einem Titanrahmen ist nicht nur das edel schimmernde Material an sich, sondern dessen Verarbeitung. Schweißnähte in Perfektion zählen unter Experten und Rennrad-Schöngeistern als Krönung im Rahmenbau. Und in der Tat: Die teuren Rahmen Seven und Moots etwa taugen fürs Lehrbuch.

Hauchzart und beeindruckend gleichmäßig reihen sich die Schuppen der Schweißnähte aneinander, scheinen am ganzen Rahmen wie aus einem Guss. Selbst wer das Millimetermaß anlegt oder mit der Lupe unschöne Einschlüsse sucht, muss kapitulieren. Auf der anderen Seite erkennt selbst das ungeschulte Auge beim Van Nicholas aus chinesischer Fertigung die viel breiteren, ungleichmäßigeren Nähte. Zumindest Kocmo straft aber alle Lügen, die behaupten, nur die richtig teuren Rahmen seien auch wirklich sauber geschweißt.

Die Verarbeitung samt Schweißnähten überzeugt bei Kocmo, ohne jedoch die absolute Perfektion zu versprühen. Aber: Die Rechnung "halb so teuer ist nur halb so gut" geht dabei sicherlich nicht auf, was insbesondere daran liegt, dass die Russen lange Erfahrung mit dem Raketen-Werkstoff besitzen.

Komfortabel, aber nicht steif?

Überraschend: Der preiswerte Kocmo-Rahmen überzeugt auch im RoadBIKE-Testlabor, in dem die Titanrahmen dieselben Anforderungen bestehen mussten wie jeder andere Testrahmen auch.

Hier erreichte Kocmo den Bestwert bei der Tretlagersteifigkeit der Titanrahmen. Mit rund 100 Newton pro Millimeter liegt Kocmo auf dem Niveau etwa von Scotts Addict – einem der besten Carbonrahmen auf dem Markt. Kocmo widerlegt damit all jene, die behaupten, Titan und Steifigkeit wären nicht miteinander vereinbar.

Allerdings geben die Messungen der Lenkkopfsteifigkeit den Titankritikern recht. Alle sieben Testrahmen liegen dicht beieinander im Bereich von 60 Nm/° und damit weit unter dem, was zeitgemäße Rahmen aus Aluminium oder Carbon erreichen. Insbesondere schwere Rennradfahrer über 75 Kilogramm spüren dies mit weniger Lenkpräzision auf der Straße. Grund für die relativ weichen Lenkköpfe ist, dass Titan im Vergleich zu anderen Materialien deutlich stärker flext.

Diese Eigenschaft führt allerdings dazu, dass Titanrahmen als äußerst komfortabel, weil vibrationsdämpfend gelten. Die Messungen im RoadBIKE-Labor bestätigen das Komfortimage von Titan eindrucksvoll. Selbst der bei der Komfortmessung – gemessen wird die vertikale Nachgiebigkeit von Rahmen und Sattelstütze – schlechteste Rahmen im Test, Cubes Litening Super HPT, erreicht hier einen Wert, von dem viele aktuelle Carbonrahmen weit entfernt sind.

Seven erzielt bei dieser Messung gar den drittbesten Wert, den RoadBIKE jemals ermittelt hat. Und das trotz Sattelstütze aus Alu – eine Titanstütze würde nicht nur edler aussehen, sie hätte den Komfort mit Sicherheit zusätzlich verbessert.

Unterm Strich bestätigen die RoadBIKE-Labormessungen, dass Titanrahmen in der Regel deutlich komfortabler, aber weniger steif sind als Alu- oder Carbonrahmen.

Für die Ewigkeit

Trotzdem schaffen es alle Rahmen im Test, absolut praxistauglich und zeitgemäß zu sein. Wer über die fehlende Lenkkopfsteifigkeit hinwegsieht, kann im Gegenzug die Vorteile von Titan voll auskosten. Und das – unfallfreies Fahren vorausgesetzt – sogar für eine lange Zeit, denn Titanrahmen sind gemacht fürs Leben. Sie vermitteln ein ganz neues Fahrgefühl, erst recht, wenn sie – wie bei Seven, Moots oder Nevi – auf Maß gefertigt sind.

Das Material ist extrem korrosionsbeständig, selbst gegen Salzwasser, und kommt deshalb ohne Lackschicht aus. Auch gegen Kratzer ist das harte Titan unempfindlich, Flecken lassen sich mit etwas Öl auf einem weichen Tuch einfach wegpolieren. Nicht zuletzt dieser Nimbus der Unzerstörbarkeit ist ein weiterer Grund für die Aura, die Titan noch immer umgibt. Technisch und handwerklich spricht also viel mehr für als gegen Titan – wenn man auf der Suche nach dem Besonderen ist.

In seiner Seltenheit und Wertigkeit liegt der Reiz des Materials, dessen Namen aus der griechischen Mythologie stammt: die Titanen waren Nachkommen von Gaia und Uranos, dem ältesten Göttergeschlecht. Und wer würde nicht gern einmal etwas Göttliches besitzen?

Fazit

Betörend, verlockend und unwiderstehlich sind die Räder im Test ganz bestimmt, aber nicht alle sind unbezahlbar. Zwar kein Schnäppchen, aber seinen Preis absolut wert ist das Kocmo Road Master und verdient sich den Kauftipp. Den Testsieg holt sich aber das Seven Axiom SG: Selten begeisterte ein Testrad in diesem Maße. Der Preis resultiert aus dem großen Aufwand, den Seven betreibt: Für ein perfekt verarbeitetes und individualisiertes Rad.

Die Rennräder in diesem Test:

Titan: Das sollten Sie über den Werkstoff wissen

RB Titan - Das Material
Tino Pohlmann

Das Element: Das chemische Element Titan (Ti, Ordnungszahl 22 im Periodensystem der Elemente) wurde 1791 von William Gregor entdeckt und 1795 von Heinrich Klapproth nach der griechischen Mythologie benannt.

Vorkommen: In der Erdkruste kommt Titan recht häufig vor (Platz zehn der Elementhäufigkeit), aber nie elementar, sondern stets chemisch gebunden.

Eigenschaften: Das unedle Leichtmetall Titan ist bei relativ geringer Dichte fest und dehnbar, es korrodiert nicht.

Verwendung: Als Metall wird Titan in der Medizin und der Schmuckindustrie verwendet. Als Legierung in der Luftfahrt, im Schiffbau und der chemischen Industrie. Fahrradhersteller verwenden in der Regel die Legierungen Ti-6Al-4V (mit 6 Prozent Aluminium und 4 Prozent Vanadium) und Ti-3Al-2,5V. Die wichtigsten Anbieter von Titan-Rohrsätzen sind Reynolds und Dedacciai. Die hochwertigsten Rohrsätze sind zweifach konifiziert, haben also im Verlauf des Rohrs drei verschiedene Wandstärken von mindestens nur 0,6 Millimetern.

Nachfrage: Ähnlich wie beim Carbon leidet die Radbranche derzeit unter der boomenden Luftfahrtindustrie, deren immense Nachfrage nach Titan die Preise in die Höhe treibt – kaum ein Flugzeug kommt ohne Titan­-teile aus.

RoadBIKE Messlabor: Die Gewichte der getesteten Rennräder im Detail

Bemerkenswerte Gewichte

RB Titan - Gewichte im Vergleich

Die leichtesten Rahmen von Cube und Seven liegen auf dem Gewichtsniveau eines sehr guten Rahmens aus Aluminium – oder eines etwas unterdurchschnittlichen Carbonrahmens. Ein gutes, zeitgemäßes Ergebnis, hinter dem sich die meisten anderen Rahmen mit Gewichten unter der 1500-Gramm-Marke einreihen. Lediglich Nevi und das günstige Van Nicholas drücken recht schwer auf die Waage. Gemessen am extrem günstigen Preis des Letztplatzierten ist dies jedoch zu verzeihen – allerdings wiegt das Van Nicholas komplett aufgebaut somit 1700 Gramm mehr als das Cube.

RoadBIKE-Messlabor: Die Steifigkeiten im Detail

Gemischte Daten

RB Titan - Tretlagersteifigkeit

Ein gemischtes Bild geben die Titanrahmen, gemessen samt Gabel und Steuersatz, bei den beiden klassischen Steifigkeiten in Tretlager und Lenkkopf ab. Beim Tretlager liegen alle im "grünen Bereich", den RoadBIKE als für jedes Fahrergewicht ausreichend ermittelt hat. Bis auf Kocmo liegen alle Rahmen allerdings am unteren Ende dieses Bereichs, für absolute Steifigkeitsfanatiker hat Titan somit durch die Bank Nachteile im Vergleich mit Alu oder Carbon. Im Lenkkopf bleiben alle Rahmen-Gabel-Sets unter dem Wert, den RoadBIKE als für jedes Fahrergewicht ausreichend definiert. In der Praxis bedeutet das zwar kein Sicherheitsrisiko, doch schwerere Fahrer mit einem Gewicht von mehr als 75 Kilogramm spüren im Vergleich zu einem sehr steifen Lenkkopf Unterschiede. Wer mit Titan liebäugelt, muss sich so über Abstriche bei der Steifigkeit bewusst sein.

RB Titan - Lenkkopfsteifigkeit

Spurstabil

RB Titan - Gabelsteifigkeit

Alle Gabeln in den Testrädern überzeugen mit hohen Werten bei den gesonderten Messungen ihrer Seitensteifigkeiten. Das zeigt, dass nicht die Gabeln, sondern die Rahmen im Lenkkopf Schwächen haben. Wären die Gabeln nicht so spurstabil, wäre das Manko der Rahmen auf der Straße deutlicher spürbar. So führen die Gabeln jeden Lenkbefehl präzise aus, auch wenn die Lenkköpfe steifer sein könnten.

Hervorragend

RB Titan - Komfort

Schon immer wurde Titanrahmen ein hoher Komfort nachgesagt, dieser Test beweist ihn erstmals. Und zwar eindrucksvoll. Selbst der in diesem Testfeld schwächste Rahmen liegt, absolut betrachtet, auf einem sehr guten Niveau. Kocmo, Moots, Nevi, Radon und ganz besonders Seven erreichen hier absolute Traumwerte bei der vertikalen Nachgiebigkeit, also dem auf der Straße spürbaren Komfort.

Gemischtes Bild

RB Titan - Laufradsteifigkeit

Wie so oft zeigen die Messungen der Laufradsteifigkeiten wenig Licht und viel Schatten. Richtig gute Ergebnisse erzielt keiner der Laufradsätze, die mit den Testrädern geliefert wurden. Besonders die Vorderräder liegen auf einem schlechten Niveau – was die Kritik an der Lenkkopfsteifigkeit der Rahmen relativiert. Denn auch der steifste Rahmen bringt in der Praxis nichts, wenn das Vorderrad dann beim Einlenken nachgibt. Schwach sind die teuren Carbonfelgenräder im Cube und Moots.

RoadBIKE-Kommentar: Titan-Renner – Mittelmaß im Labor, top auf der Straße

RB 18 Alu-Rennräder bis 1500 Euro im Vergleich Felix Böhlken
Felix Böhlken

Titanrahmen sind im Lenkkopf alle weich! Wer nur auf die nackten Zahlen schaut und nicht differenziert, muss beim aktuellen Test zu diesem Schluss kommen. Doch bei einem komplexen Konstrukt wie einem Fahrrad sind nackte Zahlen nur ein Teil der Wahrheit. Denn ein Rad wurde zum Fahren gebaut. Darum fährt RoadBIKE jeden Renner ausgiebig – mit mindestens drei Testern, die keinen der Messwerte kennen, während sie ihre Runden drehen. Die Labormesswerte dienen danach zum Abgleich der Fahreindrücke. Bei den Titanrädern waren die Fahreindrücke großteils hervorragend, die Lenkkopfschwächen im Grenzbereich spürbar, aber nie gefährlich. So sieht die differenzierte Betrachtung aus.

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