Die Geometrie, Optik und Aero-Rohrquerschnitte des Carbon-Renners Tarmac SL7, aber ein erheblich günstigerer Preis wegen des Rahmenmaterials Aluminium: so wirbt Specialized für sein Anfang 2022 überarbeitetes Allez Sprint. Gewohnt unbescheiden feiern die US-Amerikaner ihren eigenen Wurf als erstes Alu-Superbike und schnellstes Aluminium-Rennrad der Welt.
Wir haben einen Eigenaufbau des Allez Sprint in Labor und Praxis getestet – ein Aufbau, der Emotionen und aktuelle Techniktrends mit einem Rest an finanzieller Vernunft zu kombinieren versucht. Specialized als beliebte High-End-Marke – der Rahmen aber eben aus Aluminium. Eine elektronische Schaltgruppe – aber "nur" die günstigste von Shimano, nämlich die neue 105 Di2. Carbon-Hochprofillaufräder – nicht von einer teuren, alteingesessenen Marke, sondern vom preisaggressiven Newcomer Scope. Alles in allem kommt dieser Aufbau auf ca. 4500 Euro – immer noch viel Geld, aber doch erheblich weniger, als so mancher renommierte Hersteller für ein vergleichbares Carbon-Komplettrad verlangt. Vernunftlösung oder Geheimtipp? Der Test klärt, ob sich der Kauf eines Komplettrades oder ein ähnlicher Aufbau lohnt.
Der Rahmen: Specialized Allez Sprint
Die Nähe zum Tarmac ist unübersehbar: Das Allez Sprint übernimmt vom großen Bruder aus Carbon nicht nur die Geometrie, sondern auch die Silhouette und dazu gleich noch dessen Carbon-Gabel und -Sattelstütze. Zudem dürften nur wenige Aluminium-Bikes aerodynamischer geformt sein: leicht tailliertes Steuerrohr, kantige Kammtail-Rohrformen, tief angesetzte Sitzstreben – alles waschechte Aero-Zutaten – und auch hier: große Nähe zu den Rohrquerschnitten und somit der sehr guten Aerodynamik des Tarmac.
Unterschiede gibt’s natürlich auch: Am Cockpit führen die Bremsleitungen nicht voll integriert ins Rahmeninnere, sondern eng unter Lenker und Vorbau geführt durch den Steuersatz. Und spätestens die wuchtigen, teils ungewöhnlich platzierten Schweißnähte machen klar, dass es sich um einen Aluminium-, nicht um einen Carbon-Rahmen handelt. Warum ungewöhnlich platziert? Die Schweißnähte an der Front wandern deutlich nach hinten, weil das Steuerrohr mit Teilen des Ober- und Unterrohrs per Hydroforming aus einem einzigen Stück Aluminium hergestellt wird. Auch das Unterrohr und das einteilige Tretlagergehäuse sind aus jeweils einem einzigen Stück Aluminium kaltgeschmiedet. Insgesamt spart sich Specialized so zwei Schweißnähte – das soll Gewicht und Materialbeanspruchung reduzieren, Steifigkeiten und Haltbarkeit hingegen erhöhen.
Die Rohrverbindungen entstehen übrigens durch ein neues Schweißverfahren namens D’Alusio Smartwelding. Alles in allem viel Aufwand, aber die Steifigkeitsmessungen auf dem ROADBIKE-Prüfstand geben Specialized recht: 100 Nm/° im Lenkkopf und 112 N/mm im Tretlager sind hervorragende Werte. Mit seinen 1459 Gramm in Größe 56 hat der Rahmen allerdings leichtes Übergewicht...
Das Rennrad in der Praxis
Doch genug der grauen Theorie: In der Praxis begeisterte der wendige, sehr agile Renner nach kurzer Eingewöhnungszeit. Die Geometrie zwingt in eine sportliche, aber nicht zu extreme Sitzposition, steile Sitz- und Lenkwinkel sorgen in Verbindung mit kurzen Kettenstreben und kurzem Radstand für starken Vortrieb und sehr direktes Handling bei erfreulich präziser Lenkung. Egal ob bei verwinkelten Abfahrten oder bei einem Kriterium: Mit dem Allez Sprint giert man nach der nächsten Möglichkeit, sich in die Kurve zu werfen und die Konkurrenz zu distanzieren.
Erschwert wird dies leider – insbesondere bergauf – durch das Gewicht von 8,6 Kilogramm ohne Pedale in Größe 58. Und: Übertrieben viel Dämpfungskomfort bietet das Rahmen-Set trotz der Carbon-Sattelstütze des Tarmacs nicht – während die Front mit 240 N/mm noch halbwegs passabel federt, ist das Heck mit 372 N/mm vergleichsweise hart. Ärgerlich: Am Test-Rahmen waren einige Kanten im Inneren nicht entgratet, der Lack platzte an manchen Stellen leicht ab.
Kompakte Sitzposition, satter Vortrieb, knackige Lenkung – das Allez Sprint macht sofort Bock auf Tempo! Schade sind das leichte Übergewicht und der geringe Komfort. Moritz Pfeiffer, Redakteur
Schaltgruppe: Shimano 105 Di2
Ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis als die 105 Di2 bietet derzeit keine Elektro-Gruppe von Shimano – das beweist das Ensemble eindrucksvoll auch während der Nutzung am Specialized Allez Sprint über 1500 Kilometer. Natürlich schalten Dura-Ace Di2 und Ultegra Di2 ein wenig schneller, und deren Umwerfer ist optisch deutlich dezenter, doch auch die 105 Di2 wechselt blitzschnell und präzise die Gänge – gerade der Umwerfer befördert die Kette ungerührt auch bei Volllast oder abenteuerlichem Kettenschräglauf aufs andere Blatt. Auch die teilautomatisierten Schaltvorgänge im Synchro- und Semi-Synchro-Shift-Modus arbeiteten einwandfrei – Geschmackssache, welche Einstellung man über die E-Tube-App auswählt. Deren Bedienung und Kopplung könnte allerdings etwas intuitiver und schneller gehen.
Die schlanken, leicht nach innen geneigten Griffe liegen toll in der Hand – die neue Ergonomie ist ein großer Fortschritt, obwohl schon die bisherigen Armaturen wenig Anlass zur Kritik gaben. Die beiden traditionell direkt nebeneinander platzierten Schalttasten sind in den meisten Fällen gut zu bedienen, mit dicken Handschuhen schaltet man aber auch schon mal ungewollt in die falsche Richtung – Vorteil Sram und Campagnolo, bei denen die Schalttasten räumlich klar getrennt sind. In den neuen 105 Di2-Griffen sitzen übrigens zwei Knopfzellen anstatt einer wie bei Dura-Ace und Ultegra. Für die zu erwartende längere Laufzeit – dieser Test stellte für das System erwartungsgemäß kein Problem dar – muss man jedoch auf die Zusatztasten oben auf den Griffhöckern verzichten, die es bei den höherwertigen Gruppen gibt.
Apropos Batterielaufzeit: Nach gerade einmal 600 gefahrenen Kilometern war der Akku komplett leer, die Schaltung tot. Und bei Testkilometer 1250 näherte sich der Ladestand erneut kritischen Werten. Die Faustformel bisheriger Di2-Antriebe von mindestens 1000 Kilometern pro Ladung bestätigte sich zumindest mit dem Akku unserer Testgruppe nicht.
Die Bremse dagegen überzeugte auf ganzer Linie: Auch ohne Servowave-Funktion der Hebel, die bei Dura-Ace und Ultegra noch stärkere Bremskraftentwicklung erlaubt, bremst die 105 kräftig und hervorragend dosierbar. Der größere Abstand der Beläge zur Disc verhinderte konsequent das bekannte "Klingeln" bei heißen Bremsscheiben, Laufradwechsel gelangen ohne lästiges Nachjustieren der Bremssättel. Auf Nässe reagierte die Bremsanlage jedoch wie gehabt mit empörtem Quietschen. Top: An Bremsbelägen, Kette, Ritzel und Kettenblätter waren nach 1500 Kilometern keine nennenswerten Verschleißerscheinungen zu erkennen.
Laufradsatz: Scope S4.A
Die niederländische Marke Scope hat schon mehrfach in ROADBIKE-Laufradtests überzeugt, und auch der neue Allrounder S4.A mit 42-Millimeter-Felge enttäuscht nicht: 92 bzw. 83 Nm/° Steifigkeit am Vorder- und Hinterrad sind sehr solide Werte, der Aufbau ist tadellos. 1593 Gramm Set-Gewicht sind sogar etwas weniger, als der Hersteller selbst angibt – für 998 Euro im Direktversand ein sehr faires Angebot.
Auch im Dauereinsatz überzeugten die Laufräder: Der Antritt erinnert zwar nicht gerade an einen Raketenstart, einmal auf Tempo gebracht, rollen die Laufräder aber wie auf Schienen – auch in Kurven und bei Seitenwind. 28 und 30 Millimeter breite Reifen ließen sich problemlos montieren, bei 21 Millimeter Maulweite wären auch breite Gravelpneus kein Problem. Beeindruckend: der leichtgängige Freilauf. Bringt man das Hinterrad im Radständer ordentlich in Schwingung, kann man erst mal Kaffee trinken gehen – bei der Rückkehr dreht es sich immer noch. Kurzum: ein Geheimtipp von unseren Nachbarn in den Niederlanden.
Fazit
Das Specialized Allez Sprint – egal ob als Komplettrad oder Individualaufbau wie hier getestet für ca. 4500 Euro – ist ein wendiger Kurvenflitzer, dessen aerodynamische Rohrformen schnelle Runden versprechen. Diese Kombination spricht vor allem Rennfahrerinnen und -fahrer an, zumal der Werkstoff Aluminium den Preis (zumindest ein bisschen) senkt und häufige Transporte zu den Wettkämpfen und auch mal einen Rennsturz besser wegsteckt als filigranes Carbon. Doch auch ohne Rennlizenz oder -ambitionen lernt man den hohen Spaßfaktor, den das Rad bietet, schnell zu schätzen. Und selbst für richtig lange Tage im Sattel fällt die Sitzposition nicht zu extrem aus. Specializeds Versprechen, seinem Carbon-Renner Tarmac mit dem Allez Sprint ein "Ultraleicht-Denkmal in Aluminium gesetzt" zu haben, ist aber angesichts des vergleichsweise hohen Rahmen- und Gesamtgewichts ein bisschen dick aufgetragen.
Shimanos neue 105 Di2 überzeugt – mit kleinen Abstrichen, etwa bei der Akku-Laufzeit. Bezieht man das Herstellerversprechen "völlig neues Fahrerlebnis" auf den mechanischen 105-Vorgänger, hält Shimano eindeutig Wort. Zu Dura-Ace Di2 und Ultegra Di2 klafft zwar eine (kleine) Lücke, die wird aber mit vielen Hundert Euro Preisersparnis versüßt. Und bessere Schalt-/Bremsperformance als sie die neue 105 Di2 bietet, braucht wohl kaum jemand.
Auch Scopes vielseitiger Laufradsatz S4.A hält sein Versprechen: "perfekte Balance zwischen Aerodynamik, Steifigkeit und Langlebigkeit". In Zeiten, wo für Rennräder immer häufiger fünfstellige Euro-Beträge aufgerufen werden, eine beruhigende Erkenntnis: Es geht nicht nur deutlich günstiger, sondern auch ohne Carbon und die teuersten Komponenten. Trotzdem muss solch ein Renner keine reine Vernunftlösung sein. Das beweist das getestete Specialized eindrucksvoll. "Schade", meinte denn auch Redakteur Pfeiffer, "dass der Test zu Ende ist ..."