Neun Aero-Rennräder im Test
Im Test: Neun aerodynamisch optimierte Rennräder

Inhalt von

Aerodynamisch optimierte Rennräder sind in aller Munde – doch welchem Fahrertyp bringt der Aero-Trend wirklich Vorteile? RoadBIKE hat's getestet.

RB 0311 Aero-Renner Teaserbild
Foto: Daniel Geiger

Der neueste Trend für mehr Geschwindigkeit sind Aero-Renner, unter aerodynamischen Gesichtspunkten optimierte Rennräder. Wer besser durch den Wind kommt, spart Kraft. Oder ist bei gleicher Leistung schneller. Ein Ansatz, der einleuchtet. Neun aktuelle Vertreter dieser Spezies hat RoadBIKE getestet, um zu klären, ob das Aero-Konzept aufgeht – das so neu eigentlich gar nicht ist: Triathleten geben seit jeher gewaltige Beträge für die Verbesserung der Aerodynamik aus.

Im Triathlon verwurzelte Marken wie Cervélo oder Kestrel trugen den Aero-Gedanken schon vor Jahren in den Renn­radbereich. Doch erst zur Saison 2010 entwickelte sich daraus ein Trend, seit der Eurobike sind Aero-Renner plötzlich das Thema – die offensiv vermarkteten Aero-Neuheiten von Canyon, Merida oder Storck haben daran großen Anteil.

Canyon betont, ebenso wie Cervélo und Felt, welchen großen Einfluss die von ihnen gesponserten Profi-Teams bei der Entwicklung der Aero-Konzepte hatten. Auf langen Etappen und in Ausreißergruppen sollen die Aero-Renner durch ihren geringeren Luftwiderstand einige Watt an Leistung einsparen – die dann im Sprint-Finale über Sieg und Niederlage entscheiden können.

Spürbar schnell unterwegs

Im Praxistest fühlten sich die Aero-Renner tatsächlich richtig schnell an! Gerade auf welligen Rollerpassagen halten fast alle Testräder beeindruckend willig ein hohes Tempo. Das liegt in erster Linie an der meist sportlich-gestreckten Sitzposition mit steilen Sitzwinkeln (74 Grad) für druckvolles Pedalieren.

Nicht zu lange Steuerrohre (um 160 Millimeter) bringen den Fahrer zudem in eine tiefere – und damit aerodynamisch bessere Sitzposition. Canyon geht mit einem nur 150 Millimeter langen Steuerrohr noch weiter, nur Isaac und Stevens verzichten mit rund 180 Millimeter langen Steuerrohren auf diesen Kniff.

Dass die Aero-Renner wegen ihrer windschlüpfig geformten Rahmen schneller unterwegs sind als herkömmliche Straßenräder, lässt sich messtechnisch nicht seriös belegen. Das Problem: Der Einfluss des Rennrades auf das Gesamtsystem (mit Fahrer) ist schlicht zu gering. Er beträgt nach Expertenmeinung zwischen 5 und 15 Prozent.

„Selbst wenn so ein Aero-Renner um 10 Prozent weniger Luft­widerstand aufweist als ein normales Straßenrad, bedeutet das für das Gesamtsystem nur eine Verbesserung von unter einem Prozent“, grenzt der Aerodynamik-Experte Andreas Walser den vermeintlichen Aero-Vorteil ein.

Gemeinsam mit Walser, der unter anderem Michael Rich und Nicole Cooke auf ihren Zeitfahrmaschinen in die richtige Position brachte, hat RB verschiedene Möglichkeiten geprüft, die von den Herstellern versprochenen Vorteile ihrer Aero-Renner reproduzierbar zu messen.

Belastbare Daten

Belastbare Daten zum Thema Aerodynamik herauszufahren oder zu messen, ist allerdings nahezu unmöglich. Die verwertbaren Daten zum Testfeld kommen deshalb in bewährter Manier aus dem RB-Labor – und sie sprechen eher gegen die Aero-Renner: Die Aero-Rohrsätze treiben die Rahmengewichte im Test teils weit über 1000 Gramm, dennoch zeigten viele Modelle Schwächen bei der Lenkkopfsteifigkeit.

Mit Cervélo, Felt und Kestrel bleiben gleich drei Rahmen-Gabel-Sets weit unter den von RoadBIKE geforderten 70 Newtonmetern pro Grad, um jedem Fahrergewicht zu genügen. In der Praxis bedeutet das bei hohen Geschwindigkeiten unpräzise Lenkmanöver, die häufiges Nachkorrigieren erfordern.

Auch die meisten anderen Testteilnehmer erreichen bei den Lenkkopfmessungen gerade so den „grünen Bereich“. Der Grund: Um die Stirnfläche möglichst klein zu halten, setzen die Entwickler bei den Aero-Rahmen auf schlanke Gabelschaftrohre, meist mit durchgehenden 11/8 Zoll als Durchmesser.

Nur Centurion und Merida verwenden bei ihren (baugleichen) Rahmen moderne von 11/8 auf 1,5 Zoll anwachsende Schaftrohre – und erreichen damit zeitgemäße Steifigkeiten.

Nicht nur beim Lenkkopf, auch bei der vertikalen Nachgiebigkeit müssen die Fahrer der getesteten Räder Abstriche machen: Kein Rahmen-Gabel-Set erreicht an Front und Heck einen ausgeglichenen und zeitgemäß hohen Dämpfungskomfort, wie ihn heute fast jeder superleichte Top-Rahmen bietet. Lediglich Canyon kommt der Forderung nach einer ausgeglichenen, ordentlichen Dämpfung mit dem Aeroad-Rahmen recht nah.

Spürbar anders unterwegs

In der Praxis sind diese Schwächen im Lenkkopf und bei der Dämpfung selbst für leichte Fahrer um 70 Kilo spürbar. Echte Sportler, an die sich solche Aero-Renner ja richten, werden den Komfortverlust an den meist brettharten Aero-Sattelstützen vielleicht noch achselzuckend hinnehmen. Aber präzises Lenkverhalten dürften gerade sportliche Fahrer vehement einfordern.

Allerdings: Durch den langen Radstand der Aero-Renner im Test liegt der Schwerpunkt hier ohnehin auf hoher Laufruhe, was bestens zum Konzept eines „Ausreißer-Renners“ passt. Zackige Ortsdurchfahrten oder enge Serpentinenabfahrten sind nicht die Sache dieser Räder. Dafür sind sie durch ihre hohe Laufruhe und die tiefe Frontfür den Einsatz bei Jedermann-Zeitfahren oder -Triathlons wie geschaffen.

Nicht von ungefähr montieren alle Hersteller an den Testrädern Alu-Lenker, die einem Zeitfahr-aufsatz problemlos Platz bieten. Unter diesem Aspekt wird der Aero-Ansatz dann auch interessant: Wer sich keinen teuren Zeitfahrboliden leisten mag – oder kann, dem eröffnen die Aero-Renner neue Möglichkeiten.

Denn mit Zeitfahraufsatz und bei Geschwindigkeiten über 40 km/h kommt dem Faktor Luftwiderstand eine größere Bedeutung zu als beim normalen Straßeneinsatz: Bei Tempo 40 macht der in dritter Potenz zur Geschwindigkeit wachsende Luftwiderstand bereits rund 80 Prozent der gesamten Fahrwiderstände aus.

Allerdings haben diesen Zeitfahraspekt nur Canyon und Kestrel konsequent zu Ende gedacht: Bei beiden Testrädern erlaubt die weit auf der Sattelstütze verstellbare Sattelklemmung so steile Sitzwinkel, wie sie Zeitfahrer oder Triathleten brauchen. Alle anderen setzen vor allem auf die „schnelle Optik“. Auch die kann beflügeln, kein Frage. Und mal ehrlich: Wer sich auf so einem schnittigen Aero-Renner richtig schnell fühlt, wird auch schneller fahren!

Die Rennräder in diesem Test:

Was bringt Aero wirklich? RoadBIKE klärt auf

RB 0311 Aero-Renner
Benjamin Hahn
Der Luftwiderstand von Fahrer und Rad: 80 zu 20.

Manche Hersteller versprechen vollmundig große Vorteile für ihre Aero-Renner. So erklärt beispielsweise der Felt-Katalog für das AR, „dass ein Fahrer erwarten kann, im Verlauf einer Stunde zwischen 58 und 75 Sekunden einzusparen“.

Abgesehen vom Verweis auf „Erfahrungen im Windkanal“ bleiben die Hersteller aber eine exakte Beschreibung des Testaufbaus schuldig. RoadBIKE hat sich deshalb mit Aerodynamik-Experten intensiv Gedanken gemacht, wie der Aero-Vorteil der Test­räder praxisnah erfasst werden könnte.

Auf Windkanal-Messungen verweisen derzeit viele Hersteller. Das Problem: Im Windkanal lassen sich realistische Bedingungen nicht nachbilden. Schon ein pedalierender Fahrer würde zu viele Messfehler produzieren. So wird – im besten Fall – das Rad mit einem unbeweglichen Dummy gemessen.

Der Fahrer hat aber den größten Einfluss auf die Aerodynamik des Gesamsystems. Experten sprechen von 80 Prozent – oder mehr. Windkanalmessungen brächten also sehr theoretische und wenig aussagekräftige Vergleichswerte.

Auf der Bahn ließen sich mit Hilfe einer hochsensiblen Kraftmessung (handelsübliche Systeme sind zu ungenau!) Unterschie­de unter einigermaßen realistischen Bedingungen aufzeichnen. Das Problem hier: Selbst bei einem Zeitfahrrad, das wegen der optimierten Sitzposition des Fahrers bis zu 18 Prozent Anteil am Luftwiderstand des Sys­tems haben kann, lassen sich nur Unterschiede von rund acht Watt herausholen – und messen.

Um bei den Aero-Rennern Unterschiede herausfahren zu können, die größer sind als die Messungenauigkeit, müsste der Fahrer mit einem Zeitfahraufsatz auf dem Test­rad sitzen, um für die Messung die exakt gleiche Position halten zu können. Der Aerodynamik-Experte Andreas Walser, eine anerkannte Koryphäe auf seinem Gebiet, verzichtet beispielsweise seit Jahren auf Windkanaltests. Er misst nur mit fahrenden Athleten auf der Bahn und auf der Straße.

Walser schätzt den messbaren Unterschied zwischen den Aero-Rennern auf unter ein Prozent des Gesamtsys­tems – wohlgemerkt mit Zeitfahraufsatz! Da die getesteten Aero-Renner in aller Regel ohne Zeitfahraufsatz gefahren werden, wäre auch diese Messung praxisfern. Außerdem wird der Luftwiderstand erst bei Geschwindigkeiten ab 40 km/h zum entscheidenden Faktor.

Ein Tempo, das nur sehr gut trainierte Hobbyfahrer für längere Zeit ohne Windschatten treten können. Ergo: Der Aufwand für belastbare vergleichende Aero-Messungen wäre gewaltig, die Aussagekraft gering.

Benotet: Die Rahmen-Gabel-Sets der Testräder

RB 0311 Aero-Renner Rahmen-Gabel-Set

RoadBIKE-Messlabor: Die Gewichte der Testräder

RB 0311 Aero-Renner - Gewichte im Vergleich
Komplettgewichte ohne Pedale. Laufradgewichte pro Paar inklusive Bereifung, Schlauch, Felgenband, Schnellspanner, Kassette.

RoadBIKE-Messlabor: Steifigkeiten und Komfortwerte

RB 0311 Aero-Renner - Tretlagersteifigkeit
RB 0311 Aero-Renner - Lenkkopfsteifigkeit
RB 0311 Aero-Renner - Laufradsteifigkeit
RB 0311 Aero-Renner - Komfort

So testet RoadBIKE die Aero-Renner

Labortest:

RB 1009 Lady-Renner - Labortest
Björn Hänssler
RoadBIKE-Techniker misst am Prüfstand die Steifigkeiten der Rahmen.

Im eige­­nen Prüflabor misst RoadBIKE die Steifig­keiten der Rahmen-Gabel-Sets und aller Laufräder nach Standards, die mit dem renommierten EFBe-Institut erarbeitet wurden. Zudem werden Komfort der Rahmen-Gabel-Sets sowie Rundlauf und Mittigkeit der Laufräder gemessen. Auch Gewichte, Geometriedaten und Ausstattungen stammen aus dem RoadBIKE-Labor, da Herstellerangaben nicht immer untereinander vergleichbar sind. Alle Daten fließen in die Bewertungen ein.

Praxistest:

Mindestens drei Testfahrer waren mit jedem Testrad auf einer festgelegten Strecke unterwegs, ohne dabei die Messwerte schon zu kennen. So können sie unvoreingenommen ihre Erfahrungen und Eindrücke sammeln und abgleichen, die 50 Prozent der Endnote ausmachen.

Aerodynamik-Experte Andreas Walser im Interview

RB Andreas Walser
Andreas Walser

RoadBIKE: Herr Walser, was denken Sie über den Aero-Trend bei Rennrädern?
Walser: Das ist eine schöne Idee, die Räder sehen super aus! Das eine oder andere würde mir schon auch gefallen!

RoadBIKE: Geht es nur um die Optik, oder sehen Sie auch echte Vorteile?
Walser: Selbst ein optimales Zeitfahrrad hat nur 14 bis 18 Prozent Anteil am Luftwiderstand des Gesamtsystems mit Fahrer. Eine zehnprozentige Verbesserung an so einem Rad bringt für das Gesamtsystem weniger als ein Prozent, weil der Athlet durch seine Tretbewegungen Turbulenzen verur­sacht, die die Verbesserungen teilweise wieder zunichte machen. Wenn man das weiß, ist davon auszugehen, dass die aerodynamischen Vorteile der Rahmen bei Straßenrädern sehr gering sein dürften. Einen wirklichen Vorteil messtechnisch unter Realbedingungen nachzuweisen, ist äußerst schwierig, weil sich die Position des Fahrers dauernd verändert. Und bei dem Trend sprechen wir ja nur von einer neuen Art Rahmen, denn die aerodynamischen Laufräder waren ja schon bisher im Einsatz. Aber wie gesagt, schön ausschauen tun die Räder. Das Auge kauft ja auch mit.

RoadBIKE: Die Hersteller nehmen dafür Nachteile bei Steifig­keiten und Gewicht in Kauf.
Walser: Es gibt keine Wunder, auch nicht in Carbon. Ein flaches Rohr ist weniger steif als ein rundes. Um so einen Aero-Rahmen richtig steif zu machen, müsste er vermutlich um 1400 Gramm wiegen. Das Mehrgewicht des Rahmens oder auch schwerer Hochprofilfelgen würde ich bei Etappen ohne steile und lange Anstiege und einem Schnitt um 40 km/h aber vernachlässigen. Hier entscheidet der Luftwiderstand. Das gilt vor allem für Ausreißer, im Peloton nutzt das alles wenig.

RoadBIKE: Für wen sind solche Aero­-Straßenräder denn dann am ehesten geeignet?
Walser: Das ist eine tolle Sache für Triathleten und Hobby-Zeitfahrer, die nur ein Rad besitzen und etwa im Rennen einen Zeitfahraufsatz montieren. Und für alle, denen so ein Rad gefällt, natürlich auch. Wer allerdings am liebs­ten in Oberlenkerposition unterwegs ist, braucht sich um die Aerodynamik des Rahmens sicher keine Gedanken zu machen: Die Sitzposition hat den größten Einfluss auf die Aerodynamik.

RoadBIKE: Worauf muss ich achten, um aero­dynamisch optimal auf dem Rad zu sitzen?
Walser: Je gerader, also waagerechter der Rücken, umso besser – das ist die Faustregel. Man muss am Cockpit so tief wie möglich kommen. Und die Position halten, nicht mit dem Oberkörper wackeln. Aber das ist selbst für Profis nicht immer ganz einfach ...

Fazit: Aero-Renner bieten mehr Speed – Gewichte, Komfort und Steifigkeit verbesserungswürdig

Denn alle zeichnen sich durch hervorragende Rollerqualitäten aus, auch wenn eher Kniffe bei der Geometrie dafür verantwortlich zeichnen als optimierte Rohr- und Rahmenprofile. Gewicht, Lenkkopfsteifigkeiten und Komfort lassen noch Raum für Verbesserungen in dieser Klasse. Den Testsieg nach Punkten holt sich denn auch kein ausgewiesener Aero-Experte, sondern das vielseitige Centurion – dank guter Praxisnoten und zeitgemäßer Steifigkeiten.

Die aktuelle Ausgabe
5 / 2024
 5 / 2024

Erscheinungsdatum 09.04.2024