Schnell, steif, leicht und komfortabel soll das perfekte Vielfahrer-Rad sein. Aber geht das überhaupt? RoadBIKE hat’s getestet.
Schnell, steif, leicht und komfortabel soll das perfekte Vielfahrer-Rad sein. Aber geht das überhaupt? RoadBIKE hat’s getestet.
„Performance“, „Langstrecke“ oder „Komfort“ nennen die Anbieter diese Kategorie – je nach Marketing-Strategie. Gemeint ist in allen Fällen das Gleiche: Ein Rennrad, das sich möglichst lange schmerzfrei fahren lässt.
RoadBIKE hat 10 dieser Langstrecken-Rennräder zum Test geladen, um herauszufinden, zu welchen Leistungen sie fähig sind: 5 Räder für unter 2000 Euro und 5 noble Dauerläufer zwischen 2800 und 3800 Euro.
Um das Prädikat „langstreckentauglich“ zu erhalten, muss zunächst die Geometrie stimmen. Das heißt unter anderem, dass die Sitzposition nicht zu gestreckt ausfallen darf. Bei einer Oberrohrlänge von 56 cm beträgt die Steuerrohrlänge inklusive Spacer oft 17 bis 20 cm.
Um auf dieses Maß zu kommen, gibt es unterschiedliche Ansätze: Cannondale, Lapierre, Scott und Specialized setzen bei ihren Komfortkandidaten auf lange Steuerrohre, die Modelle von Canyon, Haibike, Look, Rose, Simplon und Stevens erreichen mit Hilfe von Spacern oder hochbauenden Steuersätzen eine angenehme Cockpit-Höhe.
Darüber hinaus sollte ein Marathon-Renner über einen guten Geradeauslauf und eine nicht zu nervöse Lenkung verfügen. Dies lässt sich über einen flachen Lenkwinkel (zwischen 72 und 73,5°) und einen langen Nachlauf (zwischen 60 und 70 mm) realisieren.
Das zweite, vielleicht sogar wichtigere Kriterium für ein Langstrecken-Rad ist eine ausgeprägte vertikale Nachgiebigkeit. Sowohl der Hinterbau mit der Sattelstütze als auch die Front inklusive Gabel sollen Stöße und Vibrationen, die von der Straße ins Rad eingeleitet werden, so gut es geht vom Fahrer fernhalten.
Je mehr das Rad „schluckt“, desto weniger Kraft muss der Körper aufbringen, um Haltearbeit zu leisten. Dadurch werden die Muskeln geschont, und es bleibt mehr Power für zusätzliche Kilometer, Antritte am Berg oder Sprints um eine bessere Platzierung.
Am Hinterbau sollen die Sitz- und Kettenstreben, das Sitzrohr und die Sattelstütze gemeinsam dafür sorgen, dass das Rad vertikal nachgeben kann. Im Idealfall arbeitet also das gesamte Heck wie eine Federung, die bei heftigen Stößen mehrere Millimeter nachgibt und so Vibrationen filtert.
Einen besonders guten Job machen in diesem Test die Konstruktionen von Canyon, Haibike und Specialized, die mit ihren hauseigenen Sattelstützen herausragende Komfortwerte erreichen und nur noch durch die Lösung getoppt werden, die sich Simplon für das Serum hat einfallen lassen.
Statt einer herkömmlichen Sattelstütze setzen die Österreicher auf ein verlängertes Sitzrohr, das leicht nach hinten gebogen ist und den Sattel mit einer speziellen Klemmeinheit aufnimmt. Das garantiert herausragenden Komfort auf dem Messtisch, aber auch in der Praxis.
Erfreulich: Bis auf das Cannondale Synapse liegen sowohl bei den günstigen als auch bei den hochpreisigen Modellen alle Komfortwerte am Heck locker unter
350 N/mm und damit innerhalb des von RoadBIKE empfohlenen grünen Bereichs.
Sitzkomfort ist also weder eine Frage des Preises noch ist er alles, was ein guter Marathon-Renner braucht. Auch die Front, also die Gabel und der Lenkkopfbereich des Rahmens, muss in gleichem Maße wie das Heck zur Dämpfung beitragen, damit sich ein ausgewogenes Fahrgefühl einstellen kann. Diese Herausforderung zu meistern, gelingt nicht allen Herstellern ohne unerwünschte Nebenwirkungen.
Zwar erreichen bis auf das Specialized alle Rahmen-Gabel-Sets vorn den grünen Bereich, Cannondale, Lapierre und Look erkaufen ihren guten Front-Komfort jedoch mit Lenkkopfsteifigkeiten, die unter 70 Nm/° liegen. Zu wenig, um allen Fahrergewichten zu genügen. Auch wenn sich diese Räder auf schnellen Abfahrten nicht aufschaukeln, ergibt sich doch ein schwammiges, etwas unpräzises Fahrgefühl.
Ohnehin gelingt es nur wenigen Herstellern, in allen Punkten wirklich zu überzeugen. Denn das Rahmen-Gabel-Set ist nur ein Teil eines erfolgreichen Komfortkonzepts. So haben etwa die Reifen, das Lenkerband, die Lenkerform und auch der Sattel einen erheblichen Einfluss auf den Komfort. Erstaunlicherweise nutzt kaum ein Hersteller das komplette Potenzial seines Renners, das sich mit einer konsequenten Ausstattung ergeben würde.
Gibt es etwa zu viel Komfort? Für den größten Teil der Rennradfahrer lautet die Antwort: Nein. Solange das Rad im Tretlager und Lenkkopf ausreichend steif ist und die Lenkung trotz gemäßigtem Winkel direkt anspricht und präzise alle Befehle ausführt, spricht nichts dagegen, dass das System vertikal nachgibt – und so den Fahrer schont. Selbst auf der Waage ergeben sich durch den Komfortansatz keine Nachteile.
Sowohl die Set- als auch die Komplettgewichte liegen in beiden Testfeldern in Bereichen, die für die jeweiligen Preisklassen absolut in Ordnung gehen. So wiegen bis auf Specialized alle Edel-Renner-Rahmen weniger als 1000 Gramm, und in der günstigeren Konkurrenz bleiben immerhin Canyon, Haibike und Rose unter der Acht-Kilo-Marke.
Allenfalls über die doch sehr aufrechte Sitzposition einiger Modelle lässt sich streiten: Wer extrem aerodynamisch sitzen möchte und den Unterlenker gar nicht tief genug haben kann, sollte lieber zu einem Rahmen-Set greifen, bei dem die Cockpithöhe über einen breiten Spacer erreicht wird. Dieser lässt sich problemlos tauschen, die Sitzposition kann mit wenigen Handgriffen angepasst werden.
Übrigens: Selbst harte Hunde, die nichts von Schonung halten, profitieren von komfortablen Rahmen-Sets. Denn die Straßenlage vibrationsdämpfender Modelle ist auf unebenen Fahrbahnen deutlich besser als die von harten Rennböcken, die von einem Pflasterstein zum nächsten springen: Auf schnellen Abfahrten und in Kurven ein großes Plus.
Komfort macht am Ende also nicht nur entspannter und lässt den Fahrer länger durchhalten, er macht auch noch schneller. Und dagegen kann doch nun wirklich kein Rennradfahrer etwas haben.
In 11 Schritten zur Endnote - so testet RoadBIKE die Rennräder
Sie hilft Ihnen, falls Sie sich für einen der Rahmen in einer anderen Ausstattung interessieren. In der folgenden Grafik finden Sie die Noten aller 10 getesteten Rahmen-Gabel-Sets:
In 11 Schritten zur Endnote - so testet RoadBIKE die Rennräder
Beim Komplettgewicht ist jeweils das Rennrad ohne Pedale angegeben. Die Laufradgewichte beziehen sich auf eine Paar inklusive Reifen, Felgenbänder, Schnellspanner und Kassette.
In 11 Schritten zur Endnote - so testet RoadBIKE die Rennräder
Hier finden Sie alle wichtigen Messwerte aus dem RoadBIKE-Prüflabor. Wenn Sie auf das Lupe-Symbol (rechts oben in der jeweiligen Grafik) klicken, öffnet sich eine Großversion.
In 11 Schritten zur Endnote - so testet RoadBIKE die Rennräder
Im eigenen Prüflabor misst RoadBIKE die Tretlager- und Lenkkopfsteifigkeiten aller Rahmen-Gabel-Sets sowie die Seitensteifigkeit der Laufräder.
Dabei wird auf Standards zurückgegriffen, die gemeinsam mit dem EFBe-Institut erarbeitet wurden. Die Tretlagersteifigkeit lässt Schlüsse auf den Vortrieb zu, den ein Rad – etwa im Wiegetritt – bietet.
Werte über 80 N/mm bieten genug Reserven, damit sich das Rad auch bei harten Antritten nicht zu stark verwindet. Die Lenkkopfsteifigkeit ist wichtig für die Fahrstabilität und Lenkpräzision. RoadBIKE nimmt die Messung inklusive der Gabel vor.
Werte über 70 Nm/° liegen im „grünen Bereich“ und bieten auch schweren Fahrern über 80 Kilo genügend Steifigkeit. Darüber hinaus werden zwei Komfortmessungen vorgenommen, die Aussagen über die vertikale Nachgiebigkeit liefern.
Dafür wird das Rahmen-Gabel-Set samt serienmäßiger Sattelstütze und Vorbau in zwei verschiedenen Messungen an der Front und am Heck mit 80 Kilogramm belastet. Je mehr das Set „einfedert“, desto komfortabler fühlt sich der Renner auf der Straße an. Gute Werte liegen unter 350 N/mm.
Da der Rahmen-Gabel-Test, bis auf die genannten Teile, die übrige Ausstattung nicht berücksichtigt, lässt die Rahmen-Gabel-Set-Note Schlüsse zu, welches Potenzial das Set alleine hat.
Zudem werden der Rundlauf und die Mittigkeit aller Laufräder ermittelt. Die im Infocenter angegebenen Geometriedaten, Gewichte und Ausstattungen stammen ebenfalls aus dem RoadBIKE-eigenen Labor, da Herstellerangaben nicht immer miteinander vergleichbar sind. Alle Labordaten fließen in die Bewertung ein und machen zusammen 50 Prozent der Endnote aus.
Jedes Rennrad ist anders, und jeder Fahrer hat eigene Ansprüche. Darum sind auf jedem Testrad mindestens 3 verschiedene Fahrer unterwegs. Auf einer festgelegten Runde sammeln sie unabhängig voneinander, und ohne Daten zu kennen, ihre Eindrücke und geben Bewertungen ab. Die Praxisnote macht 50 Prozent der Endnote aus.
In 11 Schritten zur Endnote - so testet RoadBIKE die Rennräder
Ganz im Gegenteil: Die besten im Test können alles, was man von einem „normalen“ Renner erwartet und sind dabei auch nach Stunden noch angenehm zu fahren.
In der Preisklasse bis 2000 Euro hat Rose mit seinem auf Komfort getunten Carbon Pro-RS 3000 knapp die Nase vor dem Canyon Ultimate CF 8.0, das mit dem besten Rahmen-Kit kommt.
In der Top-Kategorie geht, wie schon im vergangenen Jahr, der Testsieg an das überragende Simplon Serum, das dem perfekten Marathon-Renner sehr nahe kommt. Den Kauftipp verdient sich das Scott CR1 Pro.
In 11 Schritten zur Endnote - so testet RoadBIKE die Rennräder