Test: Bianchi Oltre XR4
Das Bianchi Oltre XR4 im Einzeltest

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Berg- oder Sprintankünfte, Grand Tours oder Klassiker: Bianchis Oltre XR4 hat 2020 Siege am Fließband eingefahren. Warum ist der Italiener so erfolgreich?

Das Bianchi Oltre XR4 im Einzeltest
Foto: Bjoern Haenssler

Strade Bianche, Mailand–Sanremo, Tour de France, Vuelta oder Lüttich–Bastogne–Lüttich: Celeste war die dominierende Rennradfarbe der vergangenen Profisaison. Beeindruckende 15 Siege auf WorldTour-Niveau hat das niederländische Team Jumbo-Visma 2020 eingefahren, dazu kommen ungezählte Podiumsplatzierungen. Mit dafür verantwortlich: Bianchis Top-Sportler Oltre XR4.

Egal ob im Hochgebirge bei Giro, Tour und Vuelta oder im Schlusssprint auf der Zielgeraden: Bianchi-Fahrer setzten die Akzente. Wout van Aert sprintete mit seinem Oltre in Sanremo zum Sieg und hatte zuvor – passenderweise – bereits die Strade Bianche gewonnen. Primoz Roglic fuhr auf dem Oltre drei Etappensiege ein, darunter zwei Bergankünfte, und den Gesamtsieg bei der Vuelta. Beim Klassiker Lüttich–Bastogne– Lüttich siegte er um Reifenbreite.

Bjoern Haenssler

Den schon sicher geglaubten Triumph bei der Tour de France verpasste der Slowene nach der herausragenden Team-Performance von Jumbo-Visma dagegen knapp nach dem denkwürdigen Bergzeitfahren hinauf zur Planche des Belles Filles – am Oltre XR4 wird’s nicht gelegen haben. Ein Rennrad also, dass man guten Gewissens ikonisch nennen darf, nicht zuletzt wegen seiner charakteristischen Silhouette: wie ein geducktes Raubtier, bereit zum Sprung.

Obwohl das Oltre XR4 bereits seit 2016 auf dem Markt ist, belegen die anhaltenden Erfolge: Dieses Rad ist nicht gealtert, es ist gereift! Ein Grund mehr für ROADBIKE, diesen italienischen Traumrenner einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Bjoern Haenssler
Stolz prangt der Bianchi-Adler auf dem Steuerrohr, ein absoluter Hingucker.

"Wir haben das Oltre XR4 im Windkanal für eine bestmögliche Aerodynamik entwickelt, aber auch das Feedback unserer Profis ist eingeflossen", sagt Claudio Masnata, Marketing und Communication Manager von Bianchi. Denn das Aushängeschild der Italiener sollte nicht nur auf dem Papier überzeugen, sondern sich vor allem im Renneinsatz bewähren – und Siege holen. Genau deshalb habe man bei der Entwicklung das Gesamtsystem aus Fahrer und Rad stets im Blick behalten.

"Es ging immer darum, ein Rad mit perfektem Handling zu entwerfen, das es dem Fahrer erlaubt, seine bestmögliche Performance abzuliefern", sagt Masnata. Offenbar mit Erfolg: Das Oltre XR4 sei, obwohl nicht das leichteste Rad im Bianchi-Sortiment, nahezu immer die erste Wahl der Profis gewesen – unabhängig vom Terrain, berichtet Masnata.

Um diesem einzigartigen Charakter auf den Grund zu gehen, hat ROADBIKE die jüngste Version getestet, das aktuelle Oltre XR4, wenn auch nicht in der Team-Ausführung, sondern in einer erschwinglicheren Ausstattungsvariante mit Shimanos Ultegra Di2. 6190 Euro werden dafür fällig. Dem Charakter des Oltre XR4 ist das kaum abträglich: Der Käufer erhält einen konsequent auf Tempo getrimmten Sportler, das wird schon auf den ersten Metern deutlich.

Bjoern Haenssler
Außergewöhnlich ist das nach vorne gepfeilte Vision-Cockpit.

Es fällt schwer, sich angesichts der vielen markanten Details auf den Verkehr zu konzentrieren. Aus Fahrerperspektive fällt natürlich das nach vorne gepfeilte Metron-5D-ACR-Cockpit von Vision ins Auge, anerkennende Blicke gibt’s auch vom Straßenrand. Ob der markante Bianchi-Adler auf dem Steuerrohr oder der Bianchi-typische Celeste-Ton des Rahmens – so viel ist klar: Ein Bianchi ist kein Rad wie jedes andere, italienische Radsport-Tradition schwingt hier in jeder Carbon-Faser – auch wenn das 1885 in Mailand von Edoardo Bianchi gegründete Unternehmen längst in schwedischem Besitz ist.

Doch solche Nebensächlichkeiten bläst der Fahrtwind dem Bianchi-Fahrer schnell aus dem Sinn. Im Unterlenker geht es tief in eine kompakte, aerodynamisch günstige Sitzposition – bereit für den Vollgas-Tiefflug auf der Jagd nach neuen Bestzeiten. Präzise zirkelt das agile Fahrwerk um jede Kurve, die souveräne Straßenlage treibt die Tachozahlen auf Highspeed-Abfahrten in schwindelnde Höhen.

Steigt die Straße an, zeigt das Oltre seine herausragenden Klettereigenschaften: Leichtfüßig geht es auf steilen Rampen nach oben, das steife Tretlager wandelt jedes Watt in Vortrieb um. Doch damit nicht genug: Das Oltre erweist sich dabei als überraschend komfortabel. Wer hätte das von einem solchen Highend-Racer erwartet? Verantwortlich dafür zeichnet Bianchis "Countervail"-Technologie, die dank eine speziellen Faserverbunds Vibrationen von der Straße spürbar dämpft.

Bjoern Haenssler
„Bianchis Oltre XR4 ist wie gemacht für den Vollgas- Tiefflug über die Landstraßen, überzeugt aber auch als ausgezeichneter Kletterer. Ein herausragendes Rad.“ CHRISTIAN BRUNKER, RB-REDAKTEUR

Kleiner Wermutstropfen: Bei schnellen Antritten bremsen die Vision-Trimax-35-Alu-Laufräder die Ambitionen von Rad und Fahrer doch etwas aus. In Anbetracht des Preises und der sonst so überzeugenden Performance wäre ein Satz leichter Hochprofil-Laufräder eine technisch wie optisch sinnvolle Ergänzung, die auch dem Gesamtgewicht von 7,6 kg zugute kommen würde.

Bjoern Haenssler

Übrigens: Mit dem Wechsel Bianchis von Jumbo-Visma zum neuen Team Bike-Exchange (bislang Mitchelton-Scott) verabschiedet sich auch die Felgenbrems-Version des Oltre XR4 aus dem Peloton: Simon Yates, Michael Matthews, Mikel Nieve & Co. werden ausschließlich auf dem Oltre XR4 Disc unterwegs sein. Als Alternative steht das neue Bianchi Specialissima für die Kletterer bereit. Seit November ist das Team schon auf den neuen Rädern unterwegs, die ersten Rückmeldungen seien "sehr positiv", erzählt Masnata. Logisch, dass er darauf hofft, die beeindruckende Siegesserie des Oltre XR4 möge sich auch in dieser Saison fortsetzen – und auch das neue Team hätte wohl kaum etwas dagegen einzuwenden ...

Das gefällt uns:

Das Oltre XR4 ist ein Racer durch und durch. Es beeindruckt mit seinem unstillbaren Drang nach Geschwindigkeit, überzeugt aber auch durch exzellente Klettereigenschaften – und beweist sich so als echter Allrounder.

Das weniger:

Die Alu-Laufräder wirken an einem modernen Rad dieser Preisklasse fast schon als Stilbruch, ein kostspieliges Upgrade ist hier quasi Pflicht.

Fazit:

Das perfekte Rad für Hobbysportler, die ihre Liebe zur italienischen Radsporttradition und den Wunsch nach einem schnellen, möglichst vielseitigen Rennrad bestmöglich verbinden möchten.

Bianchi Oltre XR4: Die Modelle

Bianchis Oltre XR4 ist sowohl mit Felgen- wie auch mit Scheibenbremsen erhältlich. Den Einstieg markiert das XR4 mit Shimanos mechanischer Ultegra und Felgenbremsen für 4490 Euro, das Top-Modell mit Sram Red eTap AXS und Disc kostet 10 490 Euro. Eng mit dem XR4 verwandt ist der kleine Bruder Oltre XR3, der mit mechanischer Ultegra und Felgenbremsen 3699 Euro kostet.

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Erscheinungsdatum 09.04.2024