Im RoadBIKE-Test: 7 hochwertige Alu-Rennräder für die Saison 2014
7 Hightech Alu-Rennräder im Test

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Rennräder mit Aluminium-Rahmen erleben derzeit eine echte Renaissance – RoadBIKE hat die leichtesten Alu-Rennräder getestet.

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Foto: Christian Lampe

Wir leben in einer rückwärts gewandten Zeit. Mode, Musik, Design – überall regiert der Retro-Trend. Da überrascht es kaum, dass auch im Rennrad-Bau der Blick zurückgeht. Vor dem Beginn des Carbon-Zeitalters beherrschte Aluminium den Markt. Und derzeit erleben Rahmen aus Leichtmetall eine erstaunliche Renaissance, die Gewichte purzeln immer weiter.

Den Anfang machte zur Saison 2012 der nicht einmal 1200 Gramm schwere CAAD10-Rahmen von Cannondale. Inzwischen hat die Konkurrenz reagiert: Auch die Rahmen von Canyon, Specialized und Stevens bleiben in diesem Test unter der 1,2-Kilo-Marke, viele Carbon-Rahmen im Mittelklasse-Segment sind nicht leichter. Und so befeuern die neuen Leichtmetaller auch wieder die alte Frage: "Carbon oder Alu?"

Rose Bikes
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RoadBIKE
Aus umfangreichen Einzelwertungen in Labor und Praxis errechnet sich bei RoadBIKE die Endnote der Alu-Rennäder – hier die wichtigsten Wertungen im Überblick.

RoadBIKE hat 7 moderne Alu-Sets zu diesem Test eingeladen, um herauszufinden: Wie gut sind die neuen Super-Alu-Renner? Inwieweit können sie Carbon das Wasser reichen? Und wie kam es eigentlich zu diesem "Alu-Retro-Trend", mitten im Carbon-Zeitalter?

Die Ausstattung der Räder überließ RoadBIKE dabei den Herstellern – auch um die Bandbreite abzubilden, die der Markt hier bietet. Die meisten schickten auf Shimano Ultegra-Niveau bestückte Räder um 2000 Euro in den Test – sicher die interessanteste Preisklasse für so hochwertige Alu-Renner.

Für die Rennräder von Cannondale und Stevens muss der Käufer deutlich tiefer in die Tasche greifen – beide Rahmen sind allerdings in günstigerem Aufbau zu haben. Um die Leistung der Rahmen-Gabel-Sets besser vergleichen zu können, vergibt RB in diesem Test neben der Gesamtnote (siehe "So testet RoadBIKE" unten) auch eine separate Rahmennote in den Testbriefen.

Technologischer Fortschritt bei Alu-Rennrädern

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RoadBIKE
Das wiegen die Rahmen-Gabel-Sets der Alu-Rennräder in diesem Test.

Das lateinische Wort "retro" bedeutet rückwärts. Doch sind Alu-Rennradrahmen wirklich ein Rückschritt im Vergleich zum angesagten Carbon? Im Gespräch mit den Entwicklern der getesteten Alu-Rahmen scheint es fast, als wäre dieses Material der 90er noch einmal neu erfunden worden. "In meinen Augen haben wir Alu-Rahmen viel zu lange vernachlässigt – die meiste Energie wurde in die Entwicklung von Carbon-Rahmen gesteckt", meint zum Beispiel Chuck Teixeira von Specialized.

Doch jetzt ist wieder Bewegung ins Segment der Leichtmetall-Rahmen gekommen: "Vor allem durch die Weiterentwicklung von Legierungen und Verbesserungen in den thermischen Prozessen konnten wir Gewichtseinsparungen von 80 bis 100 Gramm realisieren", erklärt Jan Ehrhard von Canyon den Gewichtssprung. Adrian Zahnd von BMC konkretisiert: "Optimierte Schweißverfahren erlauben es, dünnere Rohre miteinander zu verbinden. Tretlager und Steuerrohr konnten dadurch in der Wandstärke reduziert werden und wurden so leichter."

Die neuen Fertigungsverfahren sieht man den bildhübschen Alu-Rahmen auch an: Ebenmäßige Schweißnähte, durch Hydroforming (mit Hochdruck eingepresstes heißes Öl) organisch geformte Rohre und vielfach mechanisch verformte Sitz- und Kettenstreben sind die klar erkennbaren Merkmale moderner Alu-Baukunst. Eine Eloxal-Beschichtung statt Lack sieht nicht nur edel aus und ist langlebig, sie spart auch weiteres Gewicht ein.

Am weitesten geht dabei Specialized: Die Verbindung von Ober- und Unterrohr mit dem Steuerrohr wurde komplett überdacht. "Wir falten das Ende von Ober- und Unterrohr um – wie bei einer Getränkedose. Dadurch wird das Rohr viel stabiler. Obendrein bilden wir am Steuerrohr per Hydroforming ein passendes Gegenstück."

Die Rennräder in diesem Test

Alu-Rennradrahmen mit Rennradrahmen aus Carbon im Vergleich

Selbst der schwerste Rennrad-Rahmen im Testfeld, BMC Granfondo GF02, wiegt knapp unter 1350 Gramm. Die Fliegengewichte von Cannondale, Canyon, Specialized und Stevens wiegen, teils deutlich, unter 1200 Gramm.

Einbußen bei der Stabilität bedeuten diese Gewichte in aller Regel nicht: Vergleicht man die Messwerte aus dem RB-Labor mit von der Geometrie identischen Carbon-Rahmen der jeweiligen Hersteller, so liegen die Rahmensteifigkeiten meist auf ähnlichem Niveau.

Das Paradebeispiel liefert das Granfondo von BMC: Das Alu-Modell ist ähnlich steif und komfortabel wie das zigfach teurere Carbon-Set, das nur beim Gewicht die Nase vorn hat. Allein das Stevens verfehlt im Lenkkopf die von RB geforderte Mindeststeifigkeit, um jedem Fahrertyp zu genügen. Die Hamburger verwenden, anders als die anderen Hersteller im Testfeld, statt einer herkömmlichen Alu-Legierung einen Scandium-Rohrsatz. Diese Legierung wird kaum noch verwendet – schon früher hatten Scandium-Rahmen eine Tendenz zu geringeren Steifigkeiten. Gefährlich weich ist allerdings auch das Stevens nicht.

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Christian Lampe

Komfortables Alu – teures Carbon?

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RoadBIKE
Carbon- und Alu-Rahmenset von BMC im direkten Verlgeich.

Einer der größten Kritikpunkte an Alu war bisher die "Härte" des Materials, das Schwingungen ungefiltert an den Fahrer weitergibt. Vibrationsdämpfung und Federungskomfort sind eher die Domäne hoch entwickelter Carbon-Rahmen. Hier zeigen die Leichtmetall-Rahmen der neuesten Generation die wohl erstaunlichsten Fortschritte.

Am beeindruckendsten lässt sich das am Testrad von BMC beobachten. Und erfahren: Mit 262 N/mm an der Gabel und 170 N/mm am Heck erreicht das BMC absolut herausragende Federungs­werte, die so nur wenige Carbon-Rahmen erreichen. Spürbare "Härte" gibt es nur bei Cannondale und Storck zu kritisieren – was sich in beiden Fällen leicht mit einer besser federnden Sattelstütze beheben lässt.

Kaum noch Unterschied zwischen Rennradrahmen aus Alu oder Carbon

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RoadBIKE
Carbon- und Alu-Rahmenset von Specialized im direkten Verlgeich.

Zwar verantworten vor allem Gabel und Sattelstütze die messbare Federung, doch auch die Alu-Rahmen selbst sind nicht mehr die harten Knochen vergangener Tage. "Die verbesserten Schweißverbindungen erlauben uns, den Rahmen an anderen Stellen flexibler zu gestalten. So erreichen wir ein besseres Fahrgefühl", erklärt Specialized-Entwickler Teixeira diesen Fortschritt der neuen Alu-Generation.

Und tatsächlich lobten auch die Tester, dass sich die Leichtmetaller lange nicht so hart und unangenehm anfühlen, wie man das häufig von Alu-Modellen kennt. "Ganz ehrlich, mit verbundenen Augen könnte ich nicht sagen, ob ich hier auf Alu oder Carbon unterwegs bin", meinte RB-Redakteur Christian Brunker nach etlichen Testrunden – der Ritterschlag für einen Rahmen aus Alu.

Vorsicht im Umgang mit hochwertigen Alu-Rennradrahmen

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Carbon- und Alu-Rahmenset von Cannondale im direkten Verlgeich.

Also alles eitel Sonnenschein bei den neuen Oberklasse-Alu-Rennern? Nicht ganz, denn bei der Alltagstauglichkeit verlangen die dünnwandigen Rahmen etwas mehr Aufmerksamkeit. Wie bei hochwertigem Carbon reagieren sie empfindlich auf falsche Handhabung. "

Man sollte den Rahmen nicht in der Mitte des Ober- oder Unterrohrs in den Montageständer oder den Radträger spannen, sondern an der Sattelstütze", empfiehlt Canyon-Mann Jan Ehrhard. Und: "Beim Transport des Rades mit ausgebautem Hinterrad empfiehlt es sich, ein seitliches Zusammenstauchen des Hinterbaus durch schwere Gepäckstücke – etwa durch den Einbau einer alten Nabe – zu verhindern. Diese Empfehlungen gelten aber genauso für Standard-Alu Rahmen."

Andererseits weist Volker Dohrmann von Stevens auf die Alu-Vorteile hin: "Aluminium ist deutlich toleranter bei Stürzen und bietet somit Vorteile in puncto Handhabung und Langlebigkeit." Der Alu-Leichtbau bedeutet also kein Gefahrenpotenzial, verlangt aber die Sorgfalt, die bei allen modernen leichten Bauteilen angebracht ist.

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RoadBIKE
Carbon- und Alu-Rahmenset von Rose im direkten Verlgeich.

Bei allen Fortschritten bleiben die Leichtmetaller weiterhin relativ bezahlbar: Die Rahmen-Gabel-Sets sind weit unter 1000 Euro zu haben, für hochwertig bestückte Kompletträder auf Ultegra-Niveau verlangen selbst große Marken wie Specialized unter 2000 Euro.

Vergleicht man das mit gleichwertig bestückten und in der Geometrie identischen Carbon-Rahmen der jeweiligen Hersteller, schlagen diese mit mindestens 300 Euro mehr zu Buche (siehe S. 30). Bei der Frage "Alu oder Carbon?" haben die Alu-Rahmen also starke Argumente zu bieten.

Die Gewissensfrage, für welchen Rahmen sie sich entscheiden würden, antworten die Konstrukteure im Gespräch mit RB eindeutig: "Als Entwickler entscheide ich mich bei gleichem Preis für den hochwertigeren Rahmen mit entsprechend hochwertiger Verarbeitung, also für Aluminium", antwortet Adrian Zahnd von BMC.

Volker Dorman von Stevens wird noch deutlicher: "Je nach Budget sollte der Kunde einen leichten und bewährten Alu-Rahmen oder einen für Aluminium unerreichbaren Leichtbau-Carbon-Rahmen (also unter 1000 g) nutzen. Technisch argumentiert sind Carbon-Rahmen, die schwerer als Alu-Modelle ausfallen, reine Mode- bzw. Marketingprodukte."

Eine ehrliche Antwort, der auch die Testfahrer nicht widersprechen würden. Nach diesem Test hat die Begeisterung für schöne Alu-Renner in der RB-Redaktion jedenfalls deutlich zugenommen. Nicht weil "Retro" in ist, sondern wegen der überzeugenden Vorstellung der Leichtmetaller.

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Erscheinungsdatum 09.04.2024