Pässe fahren: Tipps zu Training, Technik, Taktik und Ausrüstung
So stürmen Sie die Rennrad-Pässe

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Gute Beine, gute Technik, gute Ausrüstung: Mit diesen Tipps erobern Sie die Pässe dieser Radsport-Welt – garantiert!

RB Pässe fahren Teaserbild
Foto: Christian Lampe

Tourmalet, Alpe d’Huez, Galibier: Bei solch klangvollen Namen bekommen Radsportler fast schon unweigerlich Gänsehaut und feuchte Augen. Denn die Berge sind die ultimative Kür des Radsports. Hier werden die großen Rundfahrten entschieden, hier werden Radsporthelden gemacht und hier gehen Jedermann-Träume in Erfüllung.

Wohl kaum ein Erlebnis im Radsport lässt sich mit diesem einzigartigen Gefühl vergleichen, den Berg besiegt zu haben – wenn die Qualen des langen Anstiegs mit einem spektakulären Panorama und der rasanten Abfahrt belohnt werden.

Doch wer die höchsten Pässe im Sturm erob­ern will, muss sich richtig vorbereiten. Mit mangelnder Fitness, falscher Ausrüstung oder Defiziten in Technik und Taktik müssen Sie den Kampf mit dem Berg erst gar nicht aufnehmen.

Doch keine Angst, RoadBIKE gibt Schützenhilfe: Auf den folgenden Seiten lesen Sie, wie Sie in den Wochen vor der Passeroberung richtig trainieren, welche Fahrtechnik Sie besser nach oben und sicher wieder nach unten bringt, mit welchen Taktiktricks Sie den Berg bezwingen. Zudem zeigt RoadBIKE, wie Sie Ihren Renner fit fürs Gebirge machen und welches Equipment Sie auf keinen Fall vergessen dürfen.

Training: Bergfest werden

Fit für den Gipfel: Wer die höchsten Pässe erklimmen will, muss Kraft und Ausdauer besitzen. Ausdauer deshalb, weil Sie über Stunden im Sattel sitzen – bei einem 30 Kilometer langen Anstieg bis zu drei Stunden. Kraft, weil Sie viel Hubarbeit leisten müssen, um das Gesamtpaket aus Mensch und Maschine gegen die Hangabtriebskraft nach oben zu wuchten.

Kraftausdauer schulen: Ein exzellentes Training für das Pässefahren ist daher ein Mix aus Kraft und Ausdauer. "Durch sogenannte Kraftausdauereinheiten kräftigen Sie Ihre Beinmuskulatur, bringen mehr Druck auf das Pedal, schulen Ihren Tritt und optimieren die Leistungsfähigkeit an der individuellen aerob-anaeroben Schwelle", sagt Tim Böhme, RoadBIKE-Trainingsexperte und Leiter des Trainingscenters im Radlabor (www.radlabor.de).

Allerdings müssen Sie, bevor Sie mit dem Spezialtraining beginnen, schon eine gute Basis gelegt haben und im Grundlagenausdauerbereich (GA1) Kilometer geschrubbt haben. Sonst kann sich Ihr Organismus nach den kräftezehrenden Einheiten nicht optimal erholen, und die Form stagniert, anstatt sich zu verbessern.

Bergfahren trainieren: Für die klassische K3-Variante, in der Sie mehrere Intervalle fahren, suchen Sie sich einen Berg mit einer gleichmäßigen Steigung – am besten zwischen 3 und 6 Prozent. Beginnen Sie nach einem ausgiebigen Einfahren im Grundlagenausdauerbereich 1 mit einem fünfminütigen Intervall am Berg. Bleiben Sie dabei im Sattel sitzen, konzentrieren Sie sich auf die Zug- und Druckphasen der Pedalumdrehung, und versuchen Sie, den Oberkörper ruhig zu halten.

"Um den angestrebten Reiz in der Muskulatur und den Kraftzuwachs zu erreichen, sollte die Trittfrequenz zwischen 40 und 60 Umdrehungen pro Minute liegen", sagt Böhme. Der Puls sollte dabei knapp unter Ihrer persönlichen aerob-an­aero­ben Schwelle bleiben. Nach einem Durch­gang kurbeln Sie so lange locker weiter, bis Ihre Herzfrequenz wieder den Ausgangswert erreicht und beginnen dann von Neuem. Fahren Sie insgesamt 3-mal bergauf. Nach ein paar Wochen können Sie das Intervall auf 10 Minuten ausdehnen.

Klettern in der Ebene: Wer keine Berge in der näheren Umgebung findet, muss sich einen anderen Widerstand als Gegner suchen. "Statt der Steigung nutzen Sie einfach den Gegenwind und wählen bei Ihrem K3-Training gegen den Wind eine möglichst große Übersetzung", sagt Tim Böhme.

Vom Umfang und der Intensität können Sie sich am normalen K3-Training orientieren. Weht kein Lüftchen, lassen sich solche Programme auch hervorragend auf dem Rollentrainer absolvieren. Optimal: Stellen Sie die Steigung nach, indem Sie das Vorderrad höher positionieren.

Starker Rumpf für den Gipfelsturm: Effektiv und schnell können Sie Ihre Kletterqualitäten verbessern, wenn Sie Ihren Oberkörper trainieren. "Wer keine Stabilität im Rumpf besitzt, ermüdet nach längerem Fahren am Berg", so Böhme. Der Fahrer rutscht dann im Sattel hin und her, die aufgewendete Kraft verpufft und kommt nicht mehr zu 100 Prozent am Pedal an.

"Mit einer Kombination aus statischen und dynamischen Übungen stabilisieren und kräftigen Sie nicht nur den Rumpf, sondern intensivieren auch das Zusammenspiel zwischen den einzelnen Muskeln", so Böhme.

Technik: Richtig rauf und runter

Der richtige Stil: Stehen oder sitzen? Diese Frage beschäftigt viele Hobbyfahrer. Doch die meisten entscheiden intuitiv richtig. "Wer nicht mehr sitzen kann, weil seine Muskeln zu verspannt sind oder er eine kleine Rampe hochwuchten muss, steht unweigerlich auf", sagt Tim Böhme. Der Vorteil beim Fahren im Wiegetritt liegt darin, dass mehr Kraft aufs Pedal kommt – nämlich das gesamte eigene Körpergewicht – und sich so hohe Widerstände besser überwinden lassen.

Außerdem können Sie durch kurzes Aufstehen die durchs lange Sitzen angespannte Rumpfmuskulatur lockern. Die überwiegende Strecke sollten Sie dennoch im Sitzen fahren. "Sie können so Ihren Rhythmus leichter halten und die Intensität besser dosieren ", so Tim Böhme.

Die perfekte Sitzposition: Wer im Sattel sitzend zu Berge zieht, sollte seine bekannte Haltung etwas verändern. "Rutschen Sie auf dem Sattel etwas nach vorne, neigen Sie den Oberkörper leicht nach unten und spannen Sie ihre Arme leicht an, um sich richtig im Rad zu verkeilen. So bringen Sie mehr Druck aufs Pedal", erklärt Tim Böhme.

"Dabei spannen Sie den Gluteus Maximus – den Gesäßmuskel – vor und können die radsportspezifische Muskelschlinge, die von den Armen über den Rücken zu Ober- und Unterschenkel verläuft, optimal einsetzen", so Böhme weiter. Diese Position ermöglicht es Ihnen, die gesamte Kraft aus dem Rumpf und aus den Beinen zu holen – und effektiv in Vortrieb umzuwandeln!

Die optimale Trittfrequenz: Es rollt nicht am Berg. Ständig müssen Sie gegen den Widerstand kämpfen. "Unweigerlich sinkt die Trittfrequenz beim Bergauffahren ab", sagt Tim Böhme. Trotzdem sollten Sie die Kadenz hoch halten, damit Ihre Muskeln geschmeidig bleiben.

Wählen Sie Intensität und Gang so, dass Sie mit einer hohen Kadenz von 75 bis 90 Umdrehungen den Berg erklimmen. "Fahren Sie dagegen zu dicke Gänge bei einer niedrigen Trittfrequenz – wie beispielsweise beim K3-Training – brauchen Sie mehr Kraft, und Ihre Beinmuskeln ermüden schneller", sagt Böhme.

RB 0810 Pässe fahren - Tempo am Berg

Der kraftvolle Wiegetritt: Nur wenn Sie das Fahren im Stehen beherrschen, können Sie damit die Geschwindigkeit hochhalten und andere Muskelgruppen an der Bewegung effizient beteiligen. Schalten Sie, bevor Sie in den Wiegtritt gehen, ein oder zwei Gänge "dicker", damit Sie nicht ins Leere treten.

"Dann verlagern Sie Ihr Gewicht auf das Bein, das nach unten tritt. Während der Druckphase ziehen Sie auf der anderen Seite am Lenker. Das Rad wird so unter dem Körper gekippt", erklärt Tim Böhme. "Verstärken können Sie den Vortrieb noch, indem Sie bewusst die Beine von unten nach oben ziehen", so der Experte.

Taktik: Clever klettern

Das richtige Tempo wählen: Das Wichtigste beim Pässefahren ist, schnell den eigenen Rhythmus zu finden. "Viele übermotivierte Hobbyfahrer machen den Fehler, zu schnell anzugehen; mit dem Ergebnis, dass ihnen zum Schluss sprichwörtlich die Luft ausgeht", sagt Tim Böhme. Fahren Sie deshalb zu Beginn eher locker, so dass Sie das Gefühl haben, durchaus noch einen oder zwei Gänge schwerer fahren zu können.

Versuchen Sie die Intensität unter der aerob-anaeroben Schwelle zu halten. "So kann Ihr Organismus das gebildete Laktat immer noch abbauen, und Sie übersäuern nicht", erklärt Tim Böhme. Mit einem Herz­frequenzmesser lässt sich die Anstrengung gut kontrollieren

Von Kehre zu Kehre denken: Sie müssen lange Anstiege zerlegen, um nicht daran zu zerbrechen. Was pathetisch klingt, funktioniert in der Praxis gut! Wer die ganze Zeit vor Augen hat, dass er für einen 30 Kilometer langen Pass knapp 3 Stunden braucht, kommt schnell ins Zweifeln. "Setzen Sie sich Zwischenziele – das kann ein Gasthaus nach 10 Kilometern sein oder das Ende der Baumgrenze", sagt Tim Böhme. Übrigens: Pause machen und absteigen ist erlaubt – Sie fahren ja kein Rennen.

Weite Wege fahren: Gerade serpentinenreiche Anstiege verlocken dazu, die Ideallinie zu wählen. Doch leider ist der kürzere Weg meist der steilere. "Wer die Kurven dagegen weit anfährt und mehr Strecke in Kauf nimmt, kann den Schwung mitnehmen ", sagt Tim Böhme. "Außerdem können Sie Ihren Rhythmus halten und gleichmäßig weiterkurbeln", so Böhme weiter.

Essen und trinken nicht vergessen: Eigentlich eine Binsenweisheit, doch gerade bei der Anstrengung am Anstieg konzentrieren sich viele nur auf die Wegstrecke und die Einteilung ihrer Kräfte, vergessen darüber aber die notwendige Energie- und Flüssigkeitsversorgung. "Machen Sie es zur Gewohnheit, alle 15 bis 20 Minuten einen Schluck aus der Flasche zu nehmen und eine Kleinigkeit zu essen", rät Tim Böhme.

Die Natur genießen: Freuen Sie sich bei Ihrer Kletterpartie über den grandiosen Ausblick, und kontrollieren Sie nicht ständig die bereits zurückgelegte Strecke und die momentane Geschwindigkeit. "Es ist ein Privileg, das Alpenpanorama auf diese Art und Weise zu genießen", sagt Tim Böhme. Und zählt letztendlich viel mehr als Ihre gefahrene Zeit zum Gipfel!

So sieht das perfekte Bergrad aus

Vom geringen Gewicht über die Laufräder bis hin zum komfortablen Lenkerband – viele Details spielen beim perfekten Bergrad eine Rolle. Doch das Hauptaugenmerk gilt ganz klar der passenden Übersetzung – speziell für Hobbyfahrer. Denn je kleiner das Kettenblatt und je größer das Ritzel, desto leichter lässt sich die Kurbel drehen.

So erlauben eine Kompaktkurbel mit 34 Zähnen und eine bergtaugliche Kassette mit großem 27er-Ritzel selbst bei Geschwindigkeiten um 10 km/h noch einen recht flüssigen Tritt (siehe Grafik). Sram bietet für sein Apex-Schaltwerk neuerdings sogar ein 32er-Ritzel an.

Noch bergtauglichere Übersetzungen erlauben Dreifachkurbeln, die aber den Schaltkomfort vermindern. Zudem ist die Umrüstung aufwendig, da Schalthebel und Umwerfer getauscht werden müssen.

RB 0810 Pässe fahren - Bergrad

1. Lenker: Dickes Lenkerband dämpft Vibrationen. Gerade auf ruppigen Abfahrten ein echter Komfortgewinn!

2. Bremsen: Lange Abfahrten fordern der Bremse Höchst­leistungen ab: Gönnen Sie Ihrem Rad im Zweifelsfall vor ausgedehnten Passfahrten neue Beläge.

3. Laufrad: Nutzen Sie, wenn möglich, leichte Laufräder mit flachen Alu-Felgen. Die bieten Komfort und bessere Bremseigenschaften als Carbon-Wheels.

4. Flaschenhalter: Montieren Sie zwei Wasserträger. Denn beim Kampf mit dem Berg werden Sie viel Flüssigkeit benötigen.

5. Rahmen: Am Berg ist weniger mehr: Setzen Sie auf einen leichten Carbon- oder Alu-Rahmen.

6. Kurbel: Eine Kompaktkurbel erleichtert das Klettern deutlich. Dreifachkurbeln auch, doch die Nachrüstung ist aufwendig und der Schaltkomfort leidet.

7. Kassette: Mehr Zähne für einen leichteren Tritt: Ein 27er-Ritzel sollte schon sein.

Diese Ausrüstung sollten Sie dabei haben

Arm- und Beinlinge:

RB 0810 Pässe fahren - Arm- und Beinlinge
Benjamin Hahn

Mit den Überziehern für die Extremitäten machen Sie Ihr Radsport-Outfit im Handumdrehen kältetauglich. So kann Sie kein Wetterumschwung mehr überraschen.

Windweste:

RB 0810 Pässe fahren - Windweste
Hersteller

Wer steile Berge erklimmt, muss irgendwann auch wieder runter. Eine Windweste schützt Sie auf der rasanten Abfahrt ins Tal vor Unterkühlung. Achten Sie auf geringes Packmaß!

Mütze:

RB 0810 Pässe fahren - Mütze
Benjamin Hahn

Über den Kopf gibt der Körper einen Großteil seiner Wärme ab. Und auf der Passhöhe kann es richtig kalt werden. Grund genug, auf der Klettertour eine Helmmütze im Gepäck zu haben.

Regenjacke:

RB 0810 Pässe fahren - Regenjacke
Hersteller

Sonne, Regen, Sonne: Im Gebirge zeigt sich der Wettergott gerne launisch. Eine leichte Regenjacke hält jedem Schauer stand – und kann auch die Windweste ersetzen.

Überschuhe:

RB 0810 Pässe fahren - Überschuhe
Hersteller

Nasse oder unterkühlte Füße gehören mit zum Schlimmsten, was einem Radsportler passieren kann. Überschuhe halten die Füße trocken und schützen auf der Abfahrt vor dem Wind.

Handschuhe:

RB 0810 Pässe fahren - Handschuhe
Benjamin Hahn

Frierende Finger greifen langsamer zur Bremse. Auf der Abfahrt vom Pass kann das schnell gefährlich werden. Deshalb: Lange Handschuhe nicht vergessen

Ernährung: Den Tank richtig füllen

Ihr Motor läuft beim Pässefahren auf Vollgas und benötigt hochwertigen Treibstoff. "Da Sie sich berghoch ständig an der aerob-anaeroben Schwelle befinden, muss Ihre Muskulatur die Energie aus Kohlenhydraten gewinnen", erklärt Tim Böhme. Daher sollten Sie sich in der Woche vor einer Kletterpartie oder einer Alpenüberquerung kalorienreich ernähren.

"Nudeln, Kartoffeln und Reis gehören auf den Teller", sagt Böhme. Auch beim Frühstück vor der großen Fahrt dürfen Sie noch mal richtig zuschlagen. "Leicht verdaulich sollte es sein, damit der Magen nicht unnötig belastet wird", sagt Böhme. Ein Brot mit Honig und Marmelade sowie Bananen eignen sich als Abschlussmahlzeit gut. Am Berg sollten sie ebenfalls leicht Verdauliches essen und trinken.

"Durch die Anstrengung verschlechtert sich die Durchblutung des Magens, und er reagiert äußert sensibel", sagt Böhme. Leicht gesüßte Getränke, bekömmliche Riegel und trockener Kuchen liefern schnell Energie.

Letzter Check vor dem Start

Bremsen: Überprüfen Sie Bremsbeläge, Züge und Einstellung.

Schaltung: Läuft der Gangwechsel sauber und geschmeidig?

Schrauben: Sitzen Schnellspanner und Schrauben fest und sicher?

Reifen: Ist der Pneu noch in Form und der Ersatzschlauch im Gepäck?

Werkzeug: Minitool, Reifenheber und Pumpe nicht vergessen!

Getränke: Zwei Trinkflaschen, einmal Wasser, einmal Apfelschorle.

Nahrung: Stecken Sie mindestens 1 bis 2 Riegel und ein Not-Gel ein.

Handy: So können Sie im Notfall am Berg schnell Hilfe rufen.

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Erscheinungsdatum 09.04.2024