Rennrad-Fitness-Special, Teil 1
Wie funktioniert Rennrad-Training?

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Rennradfahren vs. struk­turiertes Training: Was für Außenstehende gleich aussehen mag, könnte unterschiedlicher kaum sein. Worauf es ankommt, damit Radsportler ausdauernd schnell fahren können.

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Fährst du noch oder trainierst du schon? Wer ein sportliches Ziel verfolgt, kommt an dieser Frage kaum vorbei. Ob Leistung, Herz- oder Trittfrequenz: Zielgerichtetes Training ist beinahe minutiös durchgetaktet und gleicht eher dem Abarbeiten von Zahlenreihen als einer entspannten Wochenend- oder Feierabendrunde. Während Letztere vor allem dazu dient, die Seele baumeln zu lassen und Landschaft und Natur auf sich wirken zu lassen, ordnet sich das Training einem klar definierten sportlichen Ziel unter. Inhalt und Strecke sowie Tageszeitpunkt sind im Training stets sorgfältig ausgewählt, das große Saisonziel immer im Blick. Denn wer ernsthaft trainiert, schert sich nicht um traumhafte Ausblicke oder den Zwischenstopp an der Eisdiele. Die gewählte Strecke muss vor allem zu den Trainingsinhalten passen. Das heißt: Für Intervalleinheiten muss ein Straßenstück her, das eine entsprechend lange, gleichmäßige Leistungsabgabe ermöglicht – ohne Ampeln, Kreuzungen oder Abfahrten, die als natürliche Feinde jedes geordneten Trainingsablaufs gelten. Im Ernstfall lässt sich bei eingeschränkter Streckenauswahl derselbe Anstieg einfach wiederholt befahren: auf und nieder, bis das Tagessoll erfüllt ist. Oder es kommt gleich der Rollentrainer zum Einsatz, auch im Sommer.

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Weiterer zentraler Unterschied des Trainings: die inhaltliche Abwechslung. Während Rennradfahrer womöglich dieselbe Trainingsrunde immer wieder im selben Tempo bestreiten, werden strukturierte Trainingseinheiten einem spezifischen Aspekt gewidmet: heute Sprints, morgen Grundlage, übermorgen Kraft am Berg. Was zunächst nach wenig Spaß und viel Stress klingt, macht schnell süchtig. Spätestens wenn mit den fortschreitenden Wochen die Herzfrequenz sinkt, die Formkurve steigt und die Vereinskollegen vom Hinterrad abplatzen, kann das strukturierte Training förmlich mitreißen – so sehr, dass Sie im Extremfall zu viel wollen und das Formpendel in die Gegenrichtung ausschlägt. Das richtige Maß entscheidet: Wer viel trainiert, braucht auch viel Ruhe.

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Vor allem in den Bergen zeigt sich, wer richtig trainiert hat.

Lieber oft statt lang

Dabei ist das geordnete Training keineswegs den Profis oder Rennradfahrern mit üppigem Zeitbudget vorbehalten. Auch mit nur fünf Wochenstunden können Sie bereits große Fortschritte erzielen. Mehr noch: Gerade Fahrer mit wenig verfügbarer Trainingszeit profitieren enorm von strukturierten Einheiten, da jede Session an ein klares Ziel gekoppelt ist. "Wer wenig Zeit fürs Training hat, sollte seine Wochenstunden verteilen und möglichst eine längere Grundla­geneinheit, eine mittellange Session und ein kurzes Intervalltraining absolvieren", erklärt Sportwissenschaftlerin Tanja Willersinn vom Radlabor Freiburg. Denn letztlich ist es die Regelmäßigkeit und Konstanz, die Sie schneller macht – und nicht die einmalige Sechs-Stunden-Ausfahrt am Wochenende. Im Training ist nicht die Ansammlung vieler Jahreskilometer entscheidend, sondern das Befolgen eines sinnvollen Matchplans. Eine hohe Kilometerleistung kommt als Nebenprodukt von allein zustande.

Soziologisch interessant wird es, wenn Rennradfahrer und Trainierende aufeinandertreffen. "Warum fährst du so langsam? Ich dachte, du willst trainieren", wird der oder die Trainierende in solchen Momenten gern gefragt, wenn gerade eine lockere Einheit auf dem Plan steht und dem Rennradfahrer das Tempo zu gering erscheint. Die Kunst im Training liegt jedoch darin, stets den Plan im Blick zu behalten und sich nicht zum Schnellfahren verführen zu lassen – sei es von den Mitfahrern oder der Rennradgruppe, die gerade zum Überholen ansetzt. Das bedeutet: An Belastungstagen wird sehr intensiv trainiert, an den "lockeren Tagen" aber bewusst ruhig gefahren.

Hin und wieder eine unstrukturierte Einheit kann der Leistungsentwicklung dennoch helfen, schafft sie doch Abwechslung vom strengen Trainingsplan. Auch das Vereins- und Sozialleben darf bei allem Ehrgeiz nicht zu kurz kommen – schließlich soll Training Spaß machen und nicht als Handlungszwang empfunden werden. So wird aus jedem Trainingstier hin und wieder auch ein Rennradfahrer – zugunsten der Motivation für die nächste Intervalleinheit.

Der Blick in den Körper

Doch was passiert eigentlich, wenn ein Radsportler trainiert? Oder anders gefragt: Welche "Systeme" muss er trainieren, um schneller zu fahren? Die Antwort ist komplex. Vereinfacht: Damit ein Muskel kontrahieren kann, braucht er Energie, der Träger dieser "Power" ist ATP (Adenosintriphos­phat). Der Organismus kann ATP auf unterschiedlichen Wegen bilden, doch beim klassischen Radsport interessiert vor allem das sogenannte aerobe System: Es sorgt dafür, dass der Sportler ausdauernd – und ausdauernd schnell – fahren kann. Es ist sozusagen der Motor der sportlichen Leistung.

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Wer hart trainiert sollte regelmäßig zum Arzt gehen und sich durchchecken lassen.

Der Gegenspieler zum aeroben System ist das an­ae­robe, das für Sprinter im Straßenradsport nicht unwichtig, für Sprinter auf der Bahn extrem wichtig ist und sich durch einen vergleichsweise höheren Kohlenhydratstoffwechsel (Glykolyse) auszeichnet. Doch zurück zum ATP: Es wird aerob in den Mitochondrien gebildet, kleinen Zellkraftwerken in der Muskulatur und den Organen. Je mehr ATP – und je länger – der menschliche Organismus diesen Treibstoff des Lebens produzieren kann, desto ausdauernder ist er. Abhängig ist die ATP-Produktion von drei Parametern: der Menge des in den Zellen ankommenden Sauerstoffs, der Anzahl sowie der "Leistung" der Mitochondrien.

Und was ist mit Kohlenhydraten und Fetten? Das aerobe System wird durch sie "gefüttert" – je nach Intensität mal mit mehr oder weniger von dem einen oder anderen. Fett sollte allerdings als Treibstoff bevorzugt und seine Verstoffwechselung bevorzugt trainiert werden, da es praktisch unbegrenzt vorhanden ist. Über Umwege und unter Zuhilfenahme von Sauerstoff verwandelt sich Fett in den Mitochondrien zu ATP.
Wollen Sportler ausdauernder werden – also ihr aerobes System verbessern –, können sie die Leistung ihrer Mitochondrien tunen – durch einen Reiz und die darauffolgende Adaption. Dies sorgt zum einen dafür, dass sich die Mitochondrien teilen, platt gesagt werden dabei aus einer Zelle zwei; zum anderen dafür, dass die Zelle besser arbeitet.

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Hobbyfahrer und Profi im Vergleich

Der Output der Mitochondrien lässt sich an einem ganz entscheidenden Parameter ablesen – der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max). Diese entscheidet darüber, wie weit wir letztendlich "kommen". Trainieren lässt sich diese maximale Sauerstoffaufnahme und damit verbunden das Potenzial der Mitochondrien auf zwei gänzlich unterschiedlichen Wegen: zum einen sehr niedrig intensiv über einen langen Zeitraum mit hohen Umfängen – beim Low Intensity Training (LIT). Oder auch intensiv oder sogar hochintensiv – beim sogenannten High Intensity Interval Training (HIIT). Beide Methoden eint der hohe Sauerstoffumsatz – entweder über die Dauer oder die Intensität.

Wer nun allerdings glaubt, sich nur mit hoch intensiven Intervalleinheiten auf einen Radmarathon vorbereiten zu können, da er so die VO2max verbessert, hat sich leider getäuscht. Denn nur über die Fettstoffwechseleinheiten in der LIT-Methode lernt der Organismus, "in Aktion" das Fett besser aus dem Gewebe zu ziehen – sprich zu oxidieren – und besser im Mitochondrium anzuliefern.

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Erscheinungsdatum 09.04.2024