Bikepacking mit dem Rennrad
Drei Tage Schwarzwald mit kleinem Gepäck

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Für besondere Momente auf dem Rennrad muss man nicht zwingend in die Ferne schweifen – schon drei Tage Bikepacking vor der eigenen Haustür liefern große Gefühle. ROADBIKE hat’s ausprobiert. Und gibt Tipps für euer eigenes Mikroabenteuer.

Drei Tage Schwarzwald mit kleinem Gepäck
Foto: Bjoern Haenssler

Auf den ersten Kilometern der zweiten Etappe habe ich das Gefühl, gar nicht mehr in Deutschland zu sein. Dabei fahren Björn, Eric und ich gerade auf dem Murgtalradweg mitten im Schwarzwald. Murgtalradweg, das klingt unsexy, nach Altherrenradtour mit E-Trekkingrad und Gepäckträger. Aber hier ist es gar nicht unsexy, sondern einfach spektakulär schön: Das raue Tal ist tief eingeschnitten, rechts und links ragen steile Hänge in den Himmel, unter uns tost die Murg durch ihr felsiges Bett, hier und da liegt ein umgestürzter Baumstamm quer über den reißenden Fluten. So naturbelassen, vermeintlich fernab jeglicher Zivilisation – ich wähne mich in einem Schweizer Alpental oder in den Rocky Mountains.

Bjoern Haenssler
Einfach mal raus und kurz innehalten. Hier mit Blick vom Aussichtspunkt Kaltenbronn ins Reichental.

Zugegeben, die Illusion verfliegt, als wir wenige Kilometer später auf die Straße wechseln und die gewohnten gelben Straßenschilder sehen, die landestypischen Straßenmarkierungen, Leitpfosten, die bekannten Automodelle und Kennzeichen. Und doch – oft nur wenige Kilometer von dereigenen Haustüre entfernt, wenn man den Radius der sonst üblichen Touren ein klein wenig ausdehnt, warten Abenteuer und unentdeckte Pfade.

Drei Tage haben wir uns Zeit genommen für unsere kleine Flucht aus dem Alltag. Mit leichtem Gepäck von Hotel zu Hotel. Bikepacking ist schließlich gerade schwer angesagt – nicht nur auf dem Gravelbike. Schon im Winter war unser Plan gereift: einfach raus, ohne große Anfahrt, aus dem Speckgürtel der Großstadt mitten hinein ins Herz des nahegelegenen Mittelgebirges. In unserem Fall heißt die Großstadt Stuttgart und das Mittelgebirge Schwarzwald. Das Prinzip funktioniert aber natürlich auch anderswo, im Sauerland ebenso wie im Harz, im Erzgebirge genau wie im Bayerischen Wald. Und nach unseren guten Erfahrungen können wir nur sagen: Nachahmung dringend empfohlen!

Einfach mal raus

Schon am ersten Tag bleiben mit jedem Kilometer, den wir zurücklegen, urbane Hektik, berufliche Verpflichtungen, die vielen großen und kleinen Aufgaben des Alltags hinter uns zurück. Der Blick geht voraus, auf die bewaldeten Schwarzwaldhügel, über die wir in den kommenden Tagen klettern wollen. Ohne Zeitdruck, ohne Stoppuhr. Okay, noch wilder wäre wohl, statt mit vorgebuchten Hotels und geplanter Route einfach ins Blaue zu fahren, womöglich gar mit Zelt und Schlafsack im Gepäck. Aber es muss ja noch Steigerungsmöglichkeiten geben …

Bjoern Haenssler
Schon kurz hinter Herrenberg wird's ruhig, erste Urlaubsgefühle stellen sich ein.

Kurz nach dem Start in Herrenberg – der Endhaltestelle der Stuttgarter S-Bahn – brausen wir am Ufer der Nagold entlang, reißen unsere Vorderräder im Tigersprung über imaginierte Ziellinien, nehmen uns gegenseitig auf den Arm – übermütige Pennäler auf Klassenfahrt. Der erste Anstieg – autofrei auf schmalem Asphaltband hinauf zur Burgruine Zavelstein – liefert einen Vorgeschmack auf das, was uns in den kommenden Tagen erwartet: Höhenmeter satt. Es folgen Schwarzmiss, immerhin knapp 1000 Meter hoch, Müllenbild und die steile Rote Lache – schweißtreibende Anstiege und rauschende Abfahrten. Flach sind die wenigsten Meter, und wenn, haben wir Rückenwind. Manchmal passt einfach alles! Im ersten Tagesziel Forbach stürzen wir uns mit leer geradelten Mägen ins erstbeste Restaurant, das rustikal seinen Riesenteller Wurstsalat mit Pommes als "frische, kleine Mahlzeit" anpreist – alles eine Frage der Perspektive, die heute jedoch durchaus der unseren entspricht.

Bjoern Haenssler
Ein leer geradelter Magen zaubert bei jeder Mahlzeit aufrichtige Gefühle ins Gesicht.

Tag zwei stellt gleich die Königsetappe mit dar: Nach dem wildromantischen Murgtalradweg klettern wir über ein schmales Asphaltband via Hundseck zur Schwarzwaldhöhenstraße und – Ausflügler und Motorradfahrer schlafen wohl noch – von Verkehr weitgehend unbehelligt zur Hornisgrinde oberhalb des Mummelsees. Vom höchsten Berg im Nordschwarzwald öffnet sich ein beeindruckender Blick hinab in die Rheinebene und rüber nach Frankreich – oder nach Süden, wo sich Hügelkette an Hügelkette reiht. Über einige davon wollen wir drüber. Die Hackordnung unserer kleinen Gruppe ist derweil längst geklärt: Björn lässt bergauf alle alt aussehen, Eric kurbelt stoisch nach Wattwerten und spendet auf Flachpassagen klaglos Windschatten, ich fahre bergab vorneweg. Letzteres hängt aber auch damit zusammen, dass ich im Gegensatz zu Björn und Eric nicht mit "Arschrakete", also Gepäcktaschen am Rad, sondern mit Rucksack unterwegs bin. Entsprechend direkt und unverfälscht ist das Handling des Rades. Was nun besser ist? Geschmackssache!

Nach der landschaftlich reizvollen Passage vorbei an Allerheiligen mit Wasserfällen und Kloster entlockt uns der sehr steile Löcherbergwasen einige nicht zitierfähige Verwünschungen. Und doch entscheiden wir uns in der Abfahrt durchs Harmersbachtal, auch noch den Brandenkopf als Scharfrichter des Tages unter die Reifen zu nehmen, obwohl es geradeaus flach ins Hotel gehen würde. "Wenn wir schon mal da sind", argumentiert Eric grinsend. Es folgen achteinhalb Kilometer mit 700 Höhenmetern, deren Steigungswerte dank eines anderthalb Kilometer langen Flachstücks schwindelerregende Höhen erreichen.

Bjoern Haenssler
Steil, aber schön: der Löcherbergwasen, der Rench- und Harmersbachtal verbindet.

Während Eric immer wortkarger wird, eilt Björn einmal mehr voraus, um seine wenig gebirgstaugliche Übersetzung in Schwung zu halten. Die Belohnung – neben dem guten Gefühl, am Ende doch mit stolzgeschwellter Brust am Gipfel zu stehen: eine rauschende Abfahrt durch blühende Wiesen. Und erneut Rückenwind bis ins Ziel. Unterwegs im Sattel, aber auch abends bei badischer Küche und Radler gehen uns die Gesprächsthemen nie aus – Belangloses und Geistreiches wechseln sich ab. Drei Tage gemeinsames Radfahren pflegen und fördern auch Freundschaften und intellektuellen Austausch. Und von den "langen Riemen" und vielen Höhenmetern profitiert natürlich auch der Formaufbau.

Wetterumschwung

Am Morgen des letzten Tages blicken wir jedoch wie begossene Pudel aus dem Hotelfenster: tief hängende Wolken, Dauerregen, nasse Straßen. Träge schleppen wir uns zum Frühstück, die frischen Brötchen im warmen Hotel schmecken uns besser als die Aussicht auf nasse Füße und kalte Finger. Meinen zaghaften Verweis auf das Angebot der Deutschen Bahn kontert Eric jedoch entschieden: "Schlimm sind an Regentagen doch eigentlich nur die ersten 200 Meter." Kurz entschlossen wählen wir den direkten Heimweg über Kinzig- und Neckartal mit nur einem statt sechs Anstiegen und schwören, für die ausgelassene Strecke bald wiederzukommen.

Bjoern Haenssler
Durchnässt, aber glücklich: Fotograf Björn Hänssler und die Redakteure Eric Gutglück und Moritz Pfeiffer am Ziel der dreitägigen Reise (v.l.n.r.).

Schuhe, Hosen, Beinlinge, Handschuhe – schon nach halber Strecke könnte man alles auswringen. Björn beschließt, das Kältegefühl durch extreme Erhöhung der Intensität zu bekämpfen – und latscht entsprechend in die Pedale. Wir fliegen Herrenberg geradezu entgegen – und haben den dritten Tag in Folge Rückenwind. Am Ziel klatschen wir grinsend und zitternd ab und haben viel Stoff gesammelt für echte und erfundene Heldengeschichten. Einfach so, nach nur drei Tagen mit den Rennrädern, mit leichtem Gepäck und in guter Gesellschaft. Nicht irgendwo, nein. Direkt vor der eigenen Haustür.

Tipps zur Planung eurer eigenen Tour

Strecke planen: Wir haben unsere Strecke mit den Online-Plattformen Komoot und Quäldich geplant. Komoot ermöglicht die Erstellung von Routen inklusive Höhenprofil und GPS-Track und berücksichtigt dabei die Oberflächenbeschaffenheit. Quäldich liefert ausführliche Informationen zu Anstiegen inklusive Karten und Steigungsverlauf. Bei beiden Portalen profitiert man zudem von Streckenbeschreibungen und Fotos von Usern. Alternativ lassen sich Tools wie die Heatmap von Strava oder die Websites von Tourismusverbänden nutzen.

Unterkunft planen: Die beiden von uns gebuchten Hotels (siehe weiter unten) haben wir über "Bett und Bike" gefunden – ein Qualitätszertifikat für fahrradfreundliche Unterkünfte des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs (ADFC). "Bett und Bike"-zertifizierte Hotels müssen zum Beispiel abschließbare Fahrradräume, Werkzeug und einen Wäschetrockenraum anbieten. Steigerungsformen sind Wäscheservice, Gepäcktransfer oder Mieträder. Eine Unterkunftssuche ist auf der Website möglich: www.bettundbike.de

Planen lassen: Die von uns gefahrene Route war eine Variation des 3Elfers – ein Angebot des Radreiseveranstalters Friendsonbikes, der auf Wunsch einen Track über 311 Kilometer, Unterkunft und Gepäcktransport organisiert. Einmal mit dem Rennrad, Gravel-/Mountainbike quer durch den Schwarzwald fährt man auch bei der Distance Rallye des Anbieters Hirsch-Sprung. Beim Stoneman Road Miriquidi geht’s 290 Kilometer durch den tschechischen Egergraben und übers Erzgebirge. Graveltracks in allen Bundesländern und auf Wunsch Aufnahme in eine Rangliste gibt’s beim Orbit 360. Und Lesertouren zum Nachfahren sammelt ROADBIKE unter: www.roadbike.de/touren

Gepäcktaschen vs. Rucksack

Irgendwie will der Krempel transportiert werden – derzeit fürs Bikepacking schwer angesagt sind Gepäcktaschen. Wegen des Gravelbike-Trends ist die Auswahl riesig. Aber auch der klassische Bike-Rucksack hat seine Daseinsberechtigung. Wir sammeln einige Vor- und Nachteile für Euch.

Bjoern Haenssler
Bikepacks am Rad oder Rucksack auf dem Rücken? Argumente (und gute Lösungen) gibt's für beide Varianten.

Gepäcktaschen

+ keine Last am Körper

+ kein "Schwitzrücken"

+ Satteltasche hält Po bei Regen trocken

+/- Flaschenhalter mit seitlicher Entnahme nötig

- verändertes Bikehandling aufgrund schwingender Satteltasche

- Satteltasche tagsüber (je nach Modell) nur mit Aufwand zugänglich

Rucksack

+ wenig Auswirkung auf Fahr- u. Lenkverhalten

+ tagsüber schnell zugänglich

+ viele Fächer

+ auch im Alltag nutzbar

- Schultern, Nacken und unterer Rücken werden stärker belastet

- Rucksackinhalt kann bei ungeschickter Beladung wippen

Die Tour von Team ROADBIKE

Tag 1: Herrenberg–Forbach, 95 km, 1970 Hm – Von Herrenberg über Nagold-, Enzund Murgtal tief in den Schwarzwald. Vor allem der letzte Anstieg zur Roten Lache mit teils über zehn Prozent Steigung hat es in sich. Unterkunft: Hotel am Mühlbach mit Fahrradgarage und grundlegender Radausstattung wie Werkzeug und Standpumpe. Exzellentes Frühstück!

Komoot/ROADBIKE
Es muss nicht immer Malle sein - schöne Momente auf dem Rennrad erlebt man auch vor der eigenen Haustüre.

Tag 2: Forbach–Fußbach, 105 km, 2580 Hm – Über das verkehrsarme Hundseck zur Hornisgrinde mit Mummelsee. Je länger die Etappe, umso steiler die Berge – den letzten Anstieg zum Brandenkopf kann man aber auch weglassen. Unterkunft: Hotel Rebstock – modernes Haus mit Fahrradscheune und vorzüglichem Restaurant. Nicht von der etwas angestaubten Website abschrecken lassen!

Tag 3: Fußbach – Herrenberg, 103 km, 1290 Hm – Wegen des Regens auf direktem Weg nach Hause. Alternativ über Schäfersfeld, Freiersberg, Freudenstadt und Nagoldtalsperre.

Die aktuelle Ausgabe
5 / 2024
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Erscheinungsdatum 09.04.2024