E-Rennrad im Alltagseinsatz ausprobiert
Selbstversuch E-Rennrad: Verstärkt pendeln

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Mit dem E-Rennrad zur Arbeit pendeln – eine schnelle, gesunde und ökologische Alternative zu anderen Verkehrsmitteln? ROADBIKE-Redakteur Moritz Pfeiffer hat es mit dem neuen Centurion Overdrive Gravel Z4000 GT ausprobiert.

RB 2019 E-Rennrad Centurion Overdrive Selbstversuch
Foto: Bjoern Haenssler

Wie lang ist Ihr Weg zur Arbeit? Und wie kommen Sie dorthin? Bei mir sind es knapp 40 Kilometer: aus dem erweiterten „Speckgürtel“ von Stuttgart bis in die ROADBIKE-Redaktion in der Stadtmitte. Für mich gibt es drei Optionen: das Auto, den öffentlichen Personennahverkehr und das Fahrrad. Knapp 70 Prozent der Berufspendler hierzulande entscheiden sich für das Auto – für mich persönlich die schlechteste Lösung: Das Verkehrschaos im Stuttgarter Talkessel ist berüchtigt, Kosten, Stress und Umweltbelastung stehen in keinem Verhältnis zum Nutzen. 14 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland nutzen für den Arbeitsweg den ÖPNV – für mich ist die Stunde Fahrt mit der S-Bahn das kleinste Übel.

Am liebsten würde ich jeden Tag das Fahrrad nehmen – wie das neun Prozent der Pendler hierzulande tun. Meine Frau und die Kinder würden sich aber bedanken, würde ich täglich dreieinhalb Stunden radeln – zusätzlich zur Arbeitszeit. So fahre ich nur ein- bis dreimal pro Woche. Und immer nur eine Strecke.

RB 2019 E-Rennrad Centurion Overdrive Selbstversuch
Bjoern Haenssler
Unglaublich, aber wahr: So ein kann ein Arbeitsweg im Speckgürtel der Auto-Stadt Stuttgart aussehen.

Als eines Tages ein E-Rennrad von Centurion in der RB-Werkstatt steht, ist mir gleich klar: Das muss ich ausprobieren. Vielleicht ist das Rennrad mit Motor eine schnelle, günstige und stressfreie Alternative für den täglichen Arbeitsweg? Dazu muss man wissen: Ich bin E-Rennrad-Neuling. Meine E-Bike-Erfahrungen beschränken sich auf ein zwar kräftiges, aber bleischweres E-Trekkingbike, das zu Hause – mit Kinderanhänger oder zum Einkaufen – so oft wie möglich das Auto ersetzt. Auf einem Rennrad mit Motor bin ich dagegen noch keinen Meter gefahren. Natürlich kenne ich die hitzigen Diskussionen, die das Thema E-Rennrad auslöst: „Skandal, Verrat am Sport, geht gar nicht!“, schimpfen Kritiker und Puristen. „Perfekt für ältere Rennradler, ungleiche Trainingspartner und -gruppen oder Reisen mit schwerem Gepäck“, jubeln dagegen die Befürworter. Bevor ich mir selbst ein Urteil bilde, möchte ich es erst einmal ausprobieren.

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E-Rennräder haben für micht nichts mehr mit Rennradfahren zu tun!E-Rennrädern eröffnen mehr Menschen den Zugang zum Rennradfahren, das finde ich gut.

Schließlich ist es so weit. Ich schwinge mich frühmorgens auf den E-Renner und flitze los auf meiner gewohnten Radstrecke zur Arbeit: knapp 40 Kilometer, viele Schotterpassagen, um große, viel befahrene Straßen zu vermeiden, und insgesamt 500 Höhenmeter, verteilt auf drei längere Anstiege und viel Auf und Ab. Erster Eindruck: Die Unterstützung des Fazua-Motors ist auf der ersten von drei Stufen zwar spürbar, setzt aber auffallend sanft ein und schiebt nicht so stark, wie von meinem E-Trekkingbike gewohnt. Es fühlt sich an, als hätte ich ständig leichten Rückenwind, bei dem ich natürlich trotzdem mittreten muss. Nach drei Kilometern der erste Anstieg: fast zwei Kilometer lang, knapp zehn Prozent Steigung, Schotter. Normalerweise schleiche ich hier mit zehn bis zwölf km/h hoch, heute sind es auf der stärksten Unterstützungsstufe 16 bis 18 km/h – bei etwas niedrigerem Puls: Spaß macht es schon mal! Schnell finde ich meinen Rhythmus: An den längeren Anstiegen wähle ich die stärkste Unterstützungsstufe und stürme, trotz vertretbarer Belastung, mit ordentlich Tempo hinauf. Auf Flachstücken und Abfahrten schalte ich auf niedrige Unterstützung oder deaktiviere den Antrieb komplett.

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Bjoern Haenssler
Je nach gewählter Route liegt Herrenberg mit seiner schönen Fachwerk-Altstadt auf dem Arbeitsweg von RB-Redakteur Moritz Pfeiffer.

Fahre ich schneller als 25 km/h, entkoppelt der Freilauf den Motor vom Getriebe. Anders als von meinem E-Trekkingbike gewöhnt, trete ich dann nicht gegen einen Widerstand an, alles fühlt sich vielmehr wie normales Radfahren an – wenn auch auf einem schweren Fahrrad, denn im Flachen ist das Mehrgewicht des 16-Kilo-Renners deutlich spürbar – und will bewegt werden. Beim Abfahren schiebt das Gewicht ordentlich, das Handling ist dafür ungewohnt träge. Was ich schade finde: An kurzen Gegensteigungen mal kurz den Gang stehen lassen und schnell drübersprinten macht nicht wirklich Spaß – das Gewicht nimmt dem E-Renner viel von der gewohnten Spritzigkeit eines konventionellen, leichten Rennrads.

In Stuttgart angekommen, gilt mein erster Blick der gefahrenen Zeit: eine Stunde, dreißig Minuten. Damit bin ich, je nach Tagesform, etwa zehn Minuten schneller als ohne Motorunterstützung – weniger als ich erwartet, vielleicht auch erhofft habe. In den darauf folgenden Tagen fahre ich die Strecke immer wieder, in beiden Richtungen. Das Ergebnis bleibt gleich: rund zehn Minuten Zeitersparnis. Das Fahrrad – ob mit oder ohne Motor – bleibt das langsamste Verkehrsmittel für meinen persönlichen, recht langen Arbeitsweg. Dafür ist es das günstigste, gesündeste und ökologischste. Die Erkenntnis meines E-Rennradexperiments lautet also: Wem es in erster Linie darum geht, den Arbeitsweg per Fahrrad so schnell wie nur irgendwie möglich zu absolvieren, der greift besser gleich zum Kleinkraftrad, sprich S-Pedelec, das bis 45 km/h unterstützt. Allerdings sind dann Rad- und Waldwege tabu, und man benötigt eine Betriebs- und Fahrerlaubnis sowie eine Versicherung samt Kennzeichen. Wer als Rennradfahrer gut trainiert ist und die geringfügig längere Fahrzeit nicht scheut, fährt dagegen sehr gut mit dem „Bio“-Bike, das in der Regel auch deutlich günstiger ist.

RB 0719 E-Rennrad pendeln Selbstversuch
Bjoern Haenssler
Mit dem Rad zur Arbeit: eine gute Wahl, egal ob mit oder ohne Motor.

Rate ich deswegen grundsätzlich vom Pendeln mit dem (E-)Rennrad ab? Auf keinen Fall! Bei kürzerer Strecke ist auch der zeitliche Nachteil des Fahrrads gegenüber Auto und ÖPNV kleiner, innerstädtisch ist das E-Bike bei Strecken bis zu zehn Kilometern in der Regel ohnehin das schnellste Verkehrsmittel. Und: Im Gegensatz zum Auto oder ÖPNV, wo jederzeit unbeeinflussbare Faktoren wie Stau oder Verspätungen auftreten können, lässt sich der Zeitbedarf für den Arbeitsweg mit dem Fahrrad recht genau kalkulieren. Einen großen Vorteil des E-Rennrads erfahre ich in den Wochen meines Experiments am eigenen Leib: An Tagen, an denen ich mich müde und unfit fühle und vor dem Arbeitsweg mit dem konventionellen Rad sicher gekniffen hätte, radle ich dank E-Unterstützung trotzdem. Sprich: Die Hemmschwelle, zur Arbeit zu radeln, sinkt. Kein unwesentlicher Aspekt in einer Gesellschaft, die sich zu wenig bewegt … Und genau wie beim konventionellen Rennrad steigen Laune und Wohlbefinden spätestens, sobald die Umgebung grüner und ruhiger wird.

Was die Debatte pro und contra E-Rennrad angeht, darf ich nach meinem Selbstversuch festhalten: Für mich persönlich bleibt das Rennrad ein Sportgerät, angetrieben aus reiner Muskelkraft. Ein E-Rennrad kommt für mich zum jetzigen Zeitpunkt (noch) nicht infrage. Grundsätzlich denke ich aber: Jedes Fahrrad – ob mit oder ohne Motor – hat seine Daseinsberechtigung, wenn es die Menschen animiert, an der frischen Luft Sport zu treiben und Spaß zu haben. Oder auch einfach mal das Auto stehen zu lassen.

Die Verkehrsmittel im Vergleich

Verkehrsmittel

CO2-Ausstoss

Herzfrequenz

Fahrzeit

Kosten

Rennrad (konventionell)

21 Gramm pro Kilometer

im Schnitt 140 Schläge

1 Stunde 40 Minuten

0,10 Euro pro Kilometer

E-Rennrad

22 Gramm pro Kilometer

im Schnitt 140 Schläge

1 Stunde 30 Minuten

0,12 Europro Kilometer

Öffentlicher Nahverkehr

101 Gramm pro Person und Kilometer

im Schnitt 80 Schläge

1 Stunde

0,24 Euro pro Kilometer

Auto

271 Gramm pro Person und Kilometer

je nach Verkehr 80 bis 200 Schläge

40 Minuten bis 1 Stunde 10 Minuten

0,45 Euro pro Kilometer

Die Zahlen für Kosten, Zeit und Herzfrequenz beziehen sich auf den Arbeitsweg von RB-Redakteur Moritz Pfeiffer, die CO2-Ausstoßwerte basieren auf Berechnungen der European Cycling Federation.

Das Testrad: Centurion Overdrive

Das neue E-Rennrad Overdrive von Centurion kommt mit Alu- oder Carbon-Rahmen, jeweils in Road- und Gravel-Ausstattung. Die Alu-Version gibt’s zudem für Pendler mit Gepäckträger und Schutzblechen. Preise: von 3999 bis 5599 Euro.

RB 2019 E-Rennrad Centurion Overdrive Selbstversuch
Bjoern Haenssler

Centurion Overdrive Gravel Z4000 GT

Preis: 4149 Euro
Gewicht: 16,4 kg
Ausstattung: Shimano Ultegra
Rahmen: Aluminium
Antrieb: Fazua Evation
Reichweite/Effizienz Tour*: 31 km/0,913 (max. 1,0)
Reichweite/Effizienz Berg*: 10,3 km/0,956 (max. 1,0)

Interview: Florian Geyer , Radlabor Freiburg

Der Sportwissenschaftler Florian Geyer vom Radlabor Freiburg pendelt täglich mit dem Rad zur Arbeit.

RB Radlabor Florian Geyer Sportwissenschaftler
Radlabor
Florian Geyer, Leitung Radlabor Freiburg

ROADBIKE: Wie hoch ist der Trainingseffekt mit einem E-Rennrad?

Florian Geyer: Es gibt auf jeden Fall einen Trainingseffekt, denn man ist ja nicht auf einem Motorrad unterwegs. Es kommt aber auf den Trainingszustand an: Bei gut trainierten Rennradlern setzt der Trainingsreiz durch die Motorunterstützung später ein. Wer einen Effekt erzielen möchte, muss also intensiver – oder länger – fahren. Bei weniger Trainierten oder Einsteigern stellt sich schnell ein Trainingseffekt ein.

RB: Kann es aus trainingswissenschaftlicher Sicht sogar sinnvoll sein, mit einem E-Rennrad anstelle eines „Bio-Bikes“ zu trainieren?

Geyer: Ein zweischneidiges Schwert. Einerseits können Rennradler, die in hügeligem Gelände wohnen, dank des Motors gezielter im Grundlagenbereich trainieren und zu hohe Intensitäten vermeiden. Andererseits ist man auf 25 km/h limitiert, bei höherem Tempo wirkt das Gewicht wie eine Bremse und erhöht die Intensität exponentiell. Mein Tipp: Bei Intervallen von vornherein die Unterstützung abschalten, um gleichmäßig trainieren zu können.

RB: Eignet sich Pendeln mit dem Rad überhaupt für ernsthaftes Training?

Geyer: Pendeln droht schnell monoton zu werden: immer dieselbe Strecke, oft dieselbe Intensität. Das ist ein gutes Fitness-Programm, aber kein Training. Ab einem bestimmten Level wird man einfach nicht mehr besser. Wer ernsthaft trainieren möchte, sollte Intervalle einbauen. Manche können das besser morgens, andere besser nachmittags –ausprobieren! Die Heimfahrt bietet den Vorteil, dass kein Frühstück im Magen liegt. Und zu Hause angekommen kann man besser regenerieren, als wenn morgens gleich ein Meeting ansteht. Wichtig: den Arbeitsweg mit dem Rad nicht als zusätzliche Belastung ansehen, sondern nutzen, um den Kopf frei zu bekommen.

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Erscheinungsdatum 05.03.2024