Ehrenamt im Radsport
RTF: Helfer im Hintergrund

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Ohne sie läuft nichts im Breitensport: Ehrenamtliche Helfer machen Veranstaltungen wie Radtourenfahrten erst möglich. RoadBIKE hat ihnen bei der RTF über die Schulter geschaut.

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Foto: Christan Lampe

Sonntagmorgens in Stuttgart, 6.30 Uhr. Die Stadt schläft noch, doch am Sportplatz in Untertürkheim herrscht bereits reger Betrieb. Rennradfahrer staksen in Radschuhen über den Asphalt, Carbon-Renner und Stahl-Schätzchen werden von Gepäckträgern gehoben. Irgendwo zischt es: Ein Reifen braucht noch Luft.

Die RTF „Rund um Stuttgart“ steht an: ausgeschilderte Strecke, 3 Distanzen, 3 Verpflegungsstellen. Auf die Beine gestellt wird die Radtourenfahrt von ehrenamtlichen Helfern des Vereins RTC Stuttgart. Einer von ihnen ist Günther Mannschreck. „Bei RTF ist in meinen Augen für fast alle Radsportler was dabei“, sagt der 62-jährige Inhaber eines Taxi-Unternehmens. „Jeder kann teilnehmen. Man lernt neue Strecken kennen und trifft Gleichgesinnte. Wer will, tritt ordentlich rein, andere dagegen lassen es lieber locker angehen.“

Bei der Stuttgarter RTF ist Mannschreck für die Behördengänge zuständig und hilft bei der Ausschilderung der Strecke. „Ich brauche keinen persönlichen Dank für meine Tätigkeit“, winkt er ab, „aber ich freue mich, wenn den Leuten zumindest bewusst ist, was an Aufwand, Zeit und Herzblut in so einer Veranstaltung steckt.“

Lange Vorbereitung für den großen Tag

Die Vorarbeiten beginnen bereits im Spätsommer des Vorjahres: Bis September muss die RTF beim Verband angemeldet werden, um im Breitensportkalender zu erscheinen. „Dafür müssen wir den Veranstaltungsort festgelegt haben, die Strecke so weit wie möglich planen und uns mit anderen Vereinen abstimmen, um Termin­überschneidungen zu vermeiden“, zählt Mannschreck auf. Ab Januar geht’s dann los mit den Behördengängen: Beim Ordnungsamt und der Kreisverwaltung muss die Genehmigung beantragt werden – schriftlich, mit detailliertem Streckenverlauf. Eine Karte im Internet reicht nicht.

„Kilometer 37: Links abbiegen von L 1140 in K 1653. Voraussichtliche Uhrzeit der letzten Befahrung: 9.50 Uhr“, liest Mannschreck vor. „So liefern wir das für die kompletten 163 Kilometer ab, jede Ortsdurchfahrt, jeder Abzweig, jeder Feldweg. Und dann kann potenziell jeder Bürgermeister, jeder Landrat oder jede Polizeibehörde auf der Strecke Widerspruch einlegen und sagen: ‚Da ist bei uns aber Flohmarkt, ihr müsst anders fahren‘ oder ‚Die Kreuzung ist zu unfallgefährdet‘.“

In diesem Jahr trudelte die Genehmigung gerade mal 4 Tage vor dem Veranstaltungstag ein. „Da wird man schon nervös. Ohne Genehmigung geht natürlich nichts. Dann wäre alles umsonst gewesen! Derzeit sind manche Ämter unterbesetzt, weil Personal abgezogen wurde – wegen der Flüchtlingskrise“, erklärt Mannschreck. „Außerdem herrschen bei den Behör­den­mitarbeiten häufig falsche Vorstellungen. Die hören Radsport und denken gleich an ein Rennen. Also erklärt man erst mal das Konzept. Und wenn man Pech hat, sitzt da im nächsten Jahr jemand Neues, und man fängt wieder von vorne an.“ Ist der Sachbearbeiter in der Behörde dagegen selbst radaffin, vereinfacht es das Verfahren meist erheblich.

20 Kilo Bananen, 400 Brötchen, 4 Kilo Butter, 15 Kilo Wurst und Käse

Noch bevor die Veranstaltung genehmigt ist, beginnen die Stuttgarter, Werbung zu machen. Die Homepage muss aktualisiert, Einladungen an ehemalige Teilnehmer verschickt und die Lokalpresse informiert werden. Haftungsfragen werden geklärt, Versicherungen abgeschlossen.

Das Veranstaltungswochenende selbst ist dann ein einziger Großkampftag. War bislang nur eine Handvoll Freiwilliger aktiv, gilt es nun, viele helfende Hände zu rekrutieren. Vorstandsmitglied Elvira Michler weiß: „Wenn es an die konkrete Planung geht, haben manche schon andere Termine, sind im Urlaub oder krank. Grundsätzlich sind aber alle sehr hilfsbereit und opfern gerne 1 oder 2 Tage.“ Mehrere Teams schildern am Vortag die Strecke aus.

500 Richtungspfeile werden aufgehängt, allein Günther Mannschreck ist in diesem Jahr 6 Stunden unterwegs – natürlich mit seinem Privatwagen. Zudem muss die Verpflegung besorgt werden. Schnell kommen für eine Kontrollstelle 20 Kilo Bananen, 400 Brötchen, 4 Kilo Butter, 15 Kilo Wurst und Käse sowie 500 Liter Wasser zusammen.

Wie viel genau eingekauft wird, müssen die Helfer jedes Jahr kurzfristig kalkulieren, denn wie viele Leute teilnehmen, hängt stark vom Wetter ab: „Normalerweise kommen um die 500 Radfahrer. Bei Regen sind es manchmal nur 20, dann hängen 10-mal mehr Schilder als wir Teil­nehmer haben – und wir machen natürlich ordentlich Verlust mit der Veranstaltung“, berichtet Elvira Michler. „Um die Einkäufe zu planen, orientieren wir uns mittlerweile auch daran, wie häufig die GPS-Daten runtergeladen wurden. Fast alle von denen haben ziemlich sicher vor, auch zu fahren.“

Ein langer Tag für die Helfer

Der Veranstaltungstag beginnt früh – und endet spät. Auf der Materialliste stehen über 70 Punkte: von Bierbänken und Zelten über Werkzeug, Kabeltrommel und Mülleimer bis hin zu den WC-Schildern. Am Start und Ziel können die Stuttgarter immerhin auf Bewirtung vor Ort zurückgreifen. „Vereine, die auch noch selbst Kuchen backen und grillen, brauchen noch mal 20 Helfer mehr“, weiß Elvira Michler.

Bis die erste Startkarte abgestempelt ist, haben die Organisatoren einen Marathon hinter sich. Günther Mannschreck arbeitet trotzdem gerne im Orga-Team mit. „Einmal nicht im richtigen Moment weggeduckt, schon heißt es Jahr für Jahr: ‚Das machst du doch!‘ Aber ich nehme die ganze Saison selbst an RTF teil, also helfe ich einmal im Jahr gerne auch bei einer Veranstaltung mit. Man ist Teil der Radsport-Familie und gibt etwas zurück.“

Eine Einstellung, die längst nicht mehr selbstverständlich ist. Horst Schmidt, ehrenamtlicher RTF-Koordinator beim Bund Deutscher Radfahrer, sagt: „Das Angebot war schon mal größer. In meiner Heimat Rheinland-Pfalz hatten wir in den 1980er-Jahren über 100 Veranstaltungen, aktuell sind es 55. Viele Vereine überaltern. Nicht zuletzt, weil ehrenamtliche Helfer fehlen, sterben Traditionsveranstaltungen.“ Gerade jüngere Radsportler unter 35 Jahren sind immer schwerer für klassische Vereinsarbeit zu begeistern. Sie engagieren sich anderweitig. Oder gar nicht.

Zusätzliche Konkurrenz erwächst der RTF-Szene durch Jedermann-Rennen. „Die Erwartungshaltung, die solche großen Events wecken, wird manchmal auch an RTF gestellt“, hat BDR-Funktionär Schmidt beobachtet, „dabei vergleicht man hier Äpfel mit Birnen. Die großen Rennen und Marathons sind kommerzielle Veranstaltungen, die von Event-Agenturen professionell organisiert und vermarktet werden. Eine RTF hat immer den Charme des Unperfekten. Sie ist nicht profitorientiert und wirft, wenn überhaupt, kleines Geld ab. Primäres Ziel ist es, möglichst kostendeckend ein Angebot für Radsportler zu schaffen.“

Neue Konzepte mit Zeitmessung abseits der eigentlichen Strecke und dem elektronischen Anmeldeprozess „Scan & Bike“ sollen Radtourenfahrten moderner machen und die ehrenamtlichen Helfer entlasten. Neue Veranstaltungen entstehen im klassischen RTF-Sektor immer seltener.

Die Verantwortlichen der Stuttgarter RTF ziehen 2016 ein positives Fazit: Das gute Wetter hat 594 Teilnehmer angelockt, von Stürzen oder anderen Problemen ist nichts bekannt. Auf und neben der Strecke hat Günther Mannschreck Stimmen und Anregungen für kommende Austragungen gesammelt. „Vieles ist konstruktiv. Aber bei manchem ‚Man müsste das doch so machen …‘ schwillt mir der Kamm, und ich denke: ‚Ja, müsste man. Dann pack mit an!‘“

Am Sportplatz in Untertürkheim wird mittlerweile abgebaut, bald kehrt wieder Ruhe ein. Die Helfer brechen auf, hängen die Streckenschilder ab und deponieren sie im Materiallager. Bis zum nächsten Jahr.

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Erscheinungsdatum 09.04.2024