Bekanntes YouTube-Video Rennrad vs. SUV
Berufung erfolgreich: Milderes Urteil gegen SUV-Fahrer

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Er hatte zwei Rennradfahrer mit seinem SUV gejagt und vor Gericht wenig Einsicht gezeigt. Dennoch wurde das Urteil gegen einen SUV-Fahrer nun abgemildert.

Berufung erfolgreich: Milderes Urteil gegen SUV-Fahrer
Foto: Screenshot YouTube/Quelle: WDR

Hinweis: Originalartikel vom 9. Mai 2022 und Nachtrag vom 1. Juni 2022 ganz unten

Im Berufungsprozess gegen einen SUV-Fahrer, der im November 2021 mit seinem Auto Jagd auf zwei Rennradfahrer gemacht hatte und dabei von der Lenkerkamera eines der beiden Rennradfahrers gefilmt worden war (ROADBIKE berichtete) ist das ursprüngliche Strafmaß abgemildert worden. Zwar ist der 56-jährige Dirk B. nun rechtskräftig wegen schweren Eingriffs in den Straßenverkehr in drei Fällen in Tateinheit mit Nötigung verurteilt und gilt somit als vorbestraft. Statt ursprünglich 21 Monaten Freiheitsstrafe sind es jetzt aber 18, statt 18 Monaten Führerscheinentzug acht. Unverändert ist die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt – Dirk B. muss also nicht ins Gefängnis. Die Bewährungszeit beträgt nach wie vor drei Jahre – lässt sich Dirk B. in dieser Zeit etwas zuschulden kommen, muss er die Freiheitsstrafe doch verbüßen. Zudem muss B. innerhalb von sechs Monaten 150 Sozialstunden ableisten.

Auf Anfrage von ROADBIKE teilte das Landgericht Siegen zum Berufungsverfahren mit: "Das Landgericht Siegen als Berufungsgericht hat bei der Bemessung der tat- und schuldangemessenen Strafe sämtliche für und gegen den Verurteilten sprechenden Umstände berücksichtigt (Paragraph 46 Strafgesetzbuch). Dabei hat auch eine Rolle gespielt, dass der zuvor verkehrsrechtlich kaum in Erscheinung getretene Verurteilte infolge der Tat seinen Arbeitsplatz verloren hat und aufgrund der Verbreitung des Videos von der Tat im Internet einem "Shitstorm" ausgesetzt war und ist.

Dem Verurteilten ist die Fahrerlaubnis entzogen worden, der Führerschein ist eingezogen worden (Paragraph 69 Strafgesetzbuch). Es gibt keine automatische Frist, nach deren Ablauf der Verurteilte wieder Kraftfahrzeuge führen darf. Er muss vielmehr bei der Fahrerlaubnisbehörde eine neue Fahrerlaubnis beantragen. Die Fahrerlaubnisbehörde hat dann in eigener Zuständigkeit zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen dem Verurteilten eine neue Fahrerlaubnis erteilt werden kann. Das Berufungsgericht hat im Urteil entschieden, dass die neue Fahrerlaubnis jedenfalls nicht vor Ablauf von acht Monaten erteilt werden darf (Paragraph 69a Abs. 1 bis 4 Strafgesetzbuch). Die Frist beginnt mit Rechtskraft des Urteils (Paragraph 69a Abs. 5 Strafgesetzbuch)." Dirk B. kann folglich im Juni 2023 eine neue Fahrerlaubnis beantragen – beim ursprünglichen Strafmaß wäre es März 2024 gewesen.

Einschätzung von ROADBIKE

Das ursprüngliche Strafmaß war hoch, wobei der rechtliche Rahmen gar nicht vollständig ausgereizt war. Die ROADBIKE-Redaktion war damals gespalten: Redakteur Moritz Pfeiffer empfand das ursprüngliche Strafmaß als angemessen, Redakteur Christian Brunker hatte zumindest einige Monate Gefängnisstrafe gefordert – "nicht zuletzt, um anderen aggressiven Verkehrsteilnehmern klarzumachen: Ihr könnt nicht immer darauf vertrauen, mit einem blauen Auge davonzukommen!" (hier geht's zum vollständigen Artikel). Nach dem Berufungsverfahren bleibt das Strafmaß nun zwar hoch, wurde aber deutlich abgemildert – nach ROADBIKE-Meinung ein falsches Signal, selbst wenn man in Rechnung stellt, dass SUV-Fahrer Dirk B. als Berufskraftfahrer durch den langen Führerscheinentzug ernsthafte berufliche Konsequenzen zu tragen hat und öffentliche Kritik für sein Verhalten hinnehmen musste.

Der Fall hat vermutlich auch deshalb soviel Aufmerksamkeit erfahren, weil hier im Video festgehalten und deshalb strafrechtlich verfolgt werden konnte, was in der Fahrrad-Community allseits bekannte, leidvolle Erfahrung ist – wenn auch vielleicht nicht immer ganz so drastisch.

Dementsprechend: Hätte das Berufungsverfahren das ursprüngliche Strafmaß bestätigt, wäre dies ein starkes Zeichen an Dirk B. – und vor allem auch die Öffentlichkeit – gewesen. Denn das Abmildern leistet nun der Deutung Vorschub, das erstinstanzliche Urteil sei zu hart gewesen, das Fehlverhalten womöglich gar nicht so schlimm, die öffentliche Empörung unangemessen. Das Urteil entfaltet deshalb womöglich auch deutlich weniger abschreckende Wirkung. Eine verpasste Chance.

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Das Strafmaß ist immer noch zu hoch.

Originalartikel vom 9. Mai 2022:

SUV-Fahrer verurteilt

Das Schöffengericht Bad Berleburg hat einen 56-jährigen SUV-Fahrer zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung, langem Führerscheinentzug und 150 Sozialstunden verurteilt. Ein Video des Vorfalls hatte im November 2021 bundesweit für Diskussionen gesorgt.

In dem Video ist zu sehen, wie der 56-jährige SUV-Fahrer Dirk B. zwei Rennradfahrer auf einer Landstraße mit hoher Geschwindigkeit extrem dicht überholte. Diese empörten sich durch Zeigen des Mittelfingers, woraufhin der Angeklagte mit seinem Wagen mitten auf der Straße anhielt, ausstieg und versuchte, die Rennradfahrer in voller Fahrt vom Rad zu ziehen. Diese wichen ihm jedoch aus, woraufhin der SUV-Fahrer wieder einstieg, die Verfolgung aufnahm und einen der beiden Radfahrer auf die Gegenfahrbahn jagte, erneut eng überholte, vor ihm einscherte und ihn so im Straßengraben zum Anhalten zwang. Daraufhin entspann sich ein hitziges Wortgefecht zwischen SUV-Fahrer und Rennradfahrern. Diese zeigten Dirk B. anschließend an. In der Gerichtsverhandlung, die nun am 06. Mai 2022 stattfand, wurde das von einer Bodycam aufgenommene Video als Beweismittel zugelassen.

Der Vorfall hatte großes Medieninteresse erfahren und war bundesweit diskutiert worden – nicht zuletzt unter (Renn)Radfahrenden, die ähnliches, wenn auch vielleicht nicht ganz so krasses Verhalten oft aus eigener Erfahrung kennen.

Bjoern Haenssler
Gefährliche Nähe: (Renn)Radfahrende und Autos teilen sich dieselben Wege.

Wegen schweren Eingriffs in den Straßenverkehr in drei Fällen sowie Nötigung wurde Dirk B. nun zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt – diese ist allerdings zur Bewährung ausgesetzt, der Angeklagte muss also nicht ins Gefängnis. Seine gesamte Bewährungszeit, während der er sich nichts zuschulden kommen lassen darf, wurde auf drei Jahre festgelegt – andernfalls muss er die Freiheitsstrafe doch antreten. Als vorbestraft gilt er in jedem Fall. Darüber hinaus bleibt der Führerschein des 56-Jährige, den dieser zeitnah nach der Tat abgeben musste, weitere 18 Monate eingezogen. Frühestens sechs Monate vor Ablauf der Sperrfrist kann Dirk B. einen Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis stellen, die dann geprüft wird und an Auflagen (zum Beispiel erneute Führerscheinprüfung und/oder eine medizinisch-psychologischen Untersuchung, im Volksmund "Idiotentest") geknüpft sein kann. Außerdem muss er 150 Sozialstunden ableisten gemäß Weisung eines Bewährungshelfers.

Das Gericht legte zugunsten des Angeklagten aus, dass dieser nicht vorbestraft sei, sich bei den Rennradfahrern entschuldigt habe und sich vor Gericht geständig eingelassen habe, auch wenn er kein vollumfängliches Geständnis ablegte: Der Angeklagte räumte das objektive Tatgeschehen ein, betonte aber mehrfach, er habe keine Gefährdung oder Verletzung beabsichtigt. Presseberichte, denen zufolge der Angeklagte schon mehrfach im Straßenverkehr aufgefallen sei, zitieren ihn mit den Worten "Ich habe die Radfahrer nicht gefährdet". Wegen des eingezogenen Führerscheins soll der Angeklagte seine Stelle als Lkw-Fahrer verloren haben.

Rechtsanwalt John Haug, Verkehrsexperte und selbst Rennradfahrer, mit dem ROADBIKE bereits über den Fall gesprochen hatte, erklärte auf Nachfrage: "Ohne nähere Detailkenntnisse des Verfahrensverlaufes zu haben, ist das Strafmaß in meinen Augen sehr gut nachvollziehbar: Eine Haftstrafe ohne Bewährung wäre bei dem offensichtlich nicht vorbestraften Täter kaum durchsetzbar gewesen." Angesichts der dreijährigen Bewährungszeit lasse sich sagen: "Das werden keine entspannten Jahre für den Beschuldigten, weitere Ausfälle darf er sich nicht zu Schulden kommen lassen." Das Urteil ist noch nicht rechtkräftig, Dirk B. hat die Möglichkeit, Berufung einzulegen.

Nachtrag 01. Juni 2022: Der Rechtsanwalt des SUV-Fahrers hat zwischenzeitlich Berufung eingelegt, das Verfahren geht in eine zweite Instanz.

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Erscheinungsdatum 05.03.2024