Olympiasiegerin Lisa Klein im Interview
Lisa Klein: „Ich bin das Tempo einfach weitergefahren“

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In Tokio gewann Lisa Klein mit dem deutschen Bahnvierer Olympiagold – gemeinsam mit Franziska Brauße, Lisa Brennauer und Mieke Kröger. Mit RB sprach Klein über den Erfolg.

Lisa Klein: „Ich bin das Tempo einfach weitergefahren“
Foto: Mark Van Hecke/Getty Images

ROADBIKE: Herzlichen Glückwunsch zu Olympiagold! Wie bewerten Sie mit einigen Wochen Abstand diesen Erfolg?

Lisa Klein: Es war eine sehr aufregende Zeit. Sportlich und emotional die beste Zeit, die ich bisher hatte. Ich war wirklich unbeschreiblich glücklich und konnte den Sieg richtig genießen, weil einfach alles gepasst hat. Alle vier waren in Top-Form, körperlich und mental, ich bin selbst auch noch nie so stark im Vierer gefahren. Es hat wahnsinnig Spaß gemacht, wir waren im Tunnel, alles war im Flow, drei Mal Weltrekord in drei Läufen – Wahnsinn!

Was muss alles zusammen kommen für so einen Erfolg?

Zunächst mal ist der Bahnvierer ein Mannschaftssport – alle vier Fahrerinnen müssen funktionieren. Wenn da eine Fahrerin schwächelt, klappt’s nicht. Aber wir haben alle zu 100 Prozent unseren Job gemacht. Natürlich muss bei so hohen Geschwindigkeiten auch ein Quäntchen Glück dabei sein, dass die Technik, die Wechsel, die Bedingungen stimmen. Die Temperaturen passten, die Luftfeuchtigkeit, auch die Bahn – in die habe mich gleich verliebt, die war unglaublich schnell. Es sind ja auch andere Teams unter dem alten Weltrekord geblieben.

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Pure Freude bei den Goldmedaillengewinnerinnen von Tokio Franziska Brauße, Lisa Brennauer, Lisa Klein, Mieke Kröger (von links nach rechts).

Ist es ein Teamerfolg auch über die vier Menschen hinaus, die tatsächlich gefahren sind?

Auf jeden Fall, es war eine riesengroße Mannschaft! Vor Ort die Mechaniker und Physiotherapeuten, der Bundestrainer, der die Taktik vorgegeben hat. Die Heimtrainer. In meinem Fall sehr wichtig, denn nach dem Olympia-Einzelzeitfahren auf der Straße war ich total unzufrieden [Klein belegte Rang 13, d. Red.]. Aber mein Trainer hat mich aufgebaut, hat gesagt, die Werte stimmen, die Form ist da, abhaken, jetzt geht es auf die Bahn, da sind Chancen, so werden wir Tokio nicht verlassen.

Wer hat noch Anteil an dem Erfolg?

Natürlich Familie und Freunde, die immer hinter einem stehen. Und was man nicht vergessen darf: Drei von uns vieren gehören zur Sportfördergruppe der Bundeswehr, es gibt die Deutsche Sporthilfe, die Thüringer Sporthilfe. Langfristig haben auch die überhaupt erst möglich gemacht hat, im Sport so weit zu kommen. Da bin ich mega-dankbar. Dank gebührt auch meinem Team Canyon-Sram, das mir die Freiheit lässt, auf der Bahn zu fahren, und mir den Rücken freihält. Auch Kristina Vogel [Deutschlands erfolgreichste Bahnradsportlerin und eine Freundin von Klein, die seit einem Trainingsunfall 2018 im Rollstuhl sitzt, d. Red.] hat ihren Anteil am Erfolg, sie war ja in Tokio als Fernsehkommentatorin dabei, wir haben uns ausgetauscht. Sie ist eine Legende, ihr Wille und ihr Durchhaltevermögen sind sehr inspirierend. Es ist schön, allen Beteiligten etwas zurückgeben zu können und zu beweisen, dass sich all die Arbeit, all die Zeit, all die Investitionen am Ende ausgezahlt haben.

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Kollektiver Jubel beim deutschen Bahnvierer nach dem goldenen Finallauf

Wie war der Empfang in Deutschland?

Auch wieder sehr emotional. Mich hat total glücklich gemacht, meine Familie und Freunde wiederzusehen, den Erfolg mit ihnen teilen zu können. In meinem Ort gab es einen Empfang mit vielen Menschen, Reden, Musikkapelle, Chor – ich bin total dankbar, dass ich das erleben durfte. Und es hat mich sehr berührt, zu spüren, wie die Menschen teilweise mitgefiebert haben. Ich habe so viele Nachrichten bekommen und auch Karten, wo mir Leute erzählt haben, wie und wo sie den Finallauf mitverfolgt haben. Das ist toll, das begeistert mich richtig.

Wie sehen nun die nächsten Wochen aus, wie geht Ihre Saison weiter?

Ich habe erstmal richtig rausgenommen, musste mich körperlich und auch mental erstmal erholen. Eine Woche lang habe ich überhaupt nicht auf dem Rad gesessen. Der Einstieg auf der Straße war dann nicht ohne, aber ich bin jetzt wieder drin und freue mich total auf das Team und die anstehenden Rennen: die Europameisterschaften, Weltmeisterschaften, Rundfahrten.

Welche Anforderungen stellt der Spagat zwischen Bahn und Straße dar?

Der Spagat ist nicht leicht. Die Umstellung von der Straße auf die Bahn geht ganz gut, andersherum ist es schwieriger. Es ist wichtig, Prioritäten zu setzen, sich klar zu fokussieren. Dieses Jahr lag der Fokus auf den Olympischen Spielen. Das verlangt aber auch die Bereitschaft seitens des Teams, dass in so einem Jahr vielleicht weniger auf der Straße gehen wird. Ohne die Unterstützung des Teams hätte es nie geklappt mit Gold.

Sie sind Zeitfahrspezialistin. Was macht für Sie die Faszination aus beim Kampf gegen die Uhr?

(überlegt) Die Geschwindigkeit. Die Aerodynamik. Die Wissenschaft, die da drin steckt. Die mentale Herausforderung. Man muss ein Zeitfahren vom Kopf her anders angehen. Der Wille, das Maximale herauszuholen. Das Durchhaltevermögen, immer weiter zu kämpfen.

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Enttäuscht: Mit Platz 13 im Olympischen Einzelzeitfahren auf der Straße war Lisa Klein nicht zufrieden. Doch es folgte das Highlight mit dem Bahnvierer.

Ein paar bahnspezifische Fragen: Wie ist die Aufgabenverteilung beim Bahnvierer?

Alles ist durchdacht und folgt einem Plan. Im Idealfall, wie jetzt in Tokio, klappt der auch (lacht). Unsere Startfahrerin Franziska [Brauße] bringt alle auf Schwung, Lisa [Brennauer] gibt dann das Grundtempo vor. Diese ersten beiden Führungen sind super-wichtig, denn man darf nicht zu verhalten loslegen, aber auch nicht überziehen, sonst kommt man aus dieser Schuld nie mehr raus. Dann folgt meine Führung, anschließend fährt Mieke [Kröger] eine lange Führung all-out, alles was geht und lässt sich dann auch zurückfallen. Die drei verbliebenen Fahrerinnen müssen es dann nach Hause bringen. Wir sind sehr konstant schnell gefahren, das war ein Schlüssel zum Erfolg.

Haben Sie alle die identische Übersetzung gekettet oder gibt es Unterschiede bei der Trittfrequenz?

Drei hatten die identische Übersetzung, Mieke für ihre lange Führung einen etwas größeren Gang. Ich habe übrigens gemerkt: Die sehr hohen Trittfrequenzen von früher, die schaffe ich nicht mehr.

Trainiert man auch spezifische Situationen, also den Rhythmus wiederzufinden, wenn etwas nicht geklappt hat, oder spontan zu reagieren, wenn eine Fahrerin Probleme hat?

Das ist schwierig. Die Geschwindigkeit ist so hoch, die Übersetzung so groß, jeder Rhythmuswechsel kostet Kraft und Zeit. Wenn was nicht klappt, ist es aus. Aber man lernt aus Fehlern, und wir fahren ja auch nicht erst seit kurzer Zeit zusammen. Man spürt aber, wenn es gut läuft und man schnell unterwegs ist.

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Gleichmäßig hohes Tempo als Schlüssel zum Erfolg: Der deutsche Bahnvierer der Frauen raste im Schnitt mit 58,985 km/h zum neuen Weltrekord von 4:04:242 Minuten über 4000 Meter.

Bekommt man während des Rennens auch mit, ob man vorne liegt oder hinten?

Ja, der Bundestrainer hält uns ein Tablet hin. Das kann ich aber gar nicht sehen, weil ich so tief auf dem Lenker liege, aber er ruft die Zeiten auch richtig laut rein. So weiß man immer, auf welcher Pace man ist.

Kann man noch zulegen, wenn man dann hört, man liegt hinten?

Ja, aber nur mit Gefühl! Wenn man die Kraft noch hat, kann eine Fahrerin versuchen, über ihre zwei Runden Führung kontinuierlich den Rhythmus zu erhöhen. Man darf nicht ruckartig beschleunigen, da fliegt der Vierer auseinander oder man selbst explodiert. Im Idealfall fährt man aber ab der zweiten Runden ein konstantes Tempo. Im Goldlauf von Tokio sind wir von Anfang an sehr schnell gefahren. Die erste Führung von Lisa [Brennauer] war sehr ambitioniert. Aber ich bin das Tempo einfach weitergefahren. Denn da rauszunehmen, ist nicht von Vorteil. Wir haben es uns zugetraut, und wir konnten das Tempo halten und sind dann tatsächlich noch mal Weltrekord gefahren.

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Mit breitem Grinsen im Gesicht rollen die frisch gebackenen Olympiasiegerinnen Lisa Klein und Franziska Brauße aus.

Hoffen Sie, dass Ihre Goldmedaille auch dazu beiträgt, junge Menschen für den Sport zu begeistern?

Das ist mir sogar am allerwichtigsten! Ich hoffe, dass solche Leistungen jungen Menschen ganz viel Motivation und Inspiration liefert – ganz allgemein, um Sport zu treiben, gar nicht mal zwingend Radsport, obwohl das ein toller Sport ist und unglaublich viel Spaß macht. Beim Empfang in meinem Dorf standen die Kinder der Fußballnachwuchsmannschaften Spalier, das war unglaublich schön. Später bin ich mit jungen Nachwuchsradsportlern trainieren gefahren. Einmal kam der Wind stark von der Seite, da habe ich Tipps gegeben, und wir haben zusammen eine Staffel gebildet. Toll zu sehen, wie sie den Nutzen erkannt haben, einen Aha-Effekt hatten.

Durch die Corona-Auflagen ist der Amateur- und Nachwuchssport in Deutschland stark eingeschränkt gewesen, junge Talente haben auf viele Wettkämpfe verzichten müssen. Wie stark trifft das den Sport?

Die jungen Leute, mit denen ich gefahren bin, die warten teilweise noch, ihr erstes Rennen fahren zu können, oder hatten seit März 2020 vielleicht fünf Renntage. Der Profisport geht weiter, aber der Nachwuchs leidet. Ich hoffe sehr, dass der Amateur- und Nachwuchssport bald wieder Fahrt aufnehmen kann. Was die Entwicklung von Talenten angeht: Unmittelbar werden die Auswirkungen der langen Pause noch nicht spüren, mittelfristig aber schon. Wer weiß, was für Talente in dieser Zeit nicht den Weg in den Sport gefunden haben? Das ist schon traurig. Ich hoffe, dass Arbeit, Zeit und auch Geld investiert wird, damit der Nachwuchs nicht auf der Strecke bleibt.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft? Welche Ziele setzen Sie sich?

Ich will definitiv Weltmeisterin werden in einer Einzeldisziplin. Und bei den Olympischen Spielen in Paris auch auf der Straße erfolgreich fahren. Ja, ich habe jetzt diese Medaille, aber ansonsten wenige Titel, da ist noch ganz viel offen. Ich möchte mich vor allem auf der Straße weiterentwickeln, bei den Frühjahrsklassikern gut fahren und Zeitfahren gewinnen. Schauen, wo ich in der Weltspitze stehe. Am Ende des Jahres ist aber auch eine Bahn-WM, wo wir wieder in derselben Besetzung den Vierer fahren – da haben wir auch große Ziele.

Alles Gute dafür, noch einmal herzlichen Glückwunsch zu Olympiagold und vielen Dank für das Gespräch!

Vielen Dank, sehr gerne. Mein Vater ist übrigens großer ROADBIKE-Fan, die Zeitschrift liegt immer bei uns zu Hause, da habe ich mich über die Interviewanfrage gefreut.

10th Gent-Wevelgem In Flanders Fields 2021 - Women's Elite
Luc Claessen/Getty Images
Ein Ziel für Lisa Klein: sich auf der Straße weiterentwickeln, unter anderem mit Blick auf die Frühjahrsklassiker. Im Bild: Gent - Wevelgem 2021.
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5 / 2024
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Erscheinungsdatum 09.04.2024