Angriff auf Shimanos Ultegra Di2: Sram bringt seine neue eTap AXS-Technologie nun auch in einer kostengünstigeren Force-Gruppe auf den Markt. Und für 2020 kommt die Force auch mit einer besonders graveltauglichen Bergübersetzung.
Angriff auf Shimanos Ultegra Di2: Sram bringt seine neue eTap AXS-Technologie nun auch in einer kostengünstigeren Force-Gruppe auf den Markt. Und für 2020 kommt die Force auch mit einer besonders graveltauglichen Bergübersetzung.
Force goes Gravel! Für alle Schotterfans bietet Sram für 2020 eine neue Entwicklungsstufe der kabellosen Force-Etap-AXS-Schaltung an: Die neue Gruppe kommt mit voll hochgebirgstauglicher Übersetzung und mehr Reifenfreiheit am Hinterrad.
Seit einem Jahr ist die elektronische Force-Gruppe auf dem Markt (siehe unten) und an vielen Gravelbikes zu finden. Wer vorn "zweifach" fahren wollte, musste allerdings mit Einschränkungen bei der Reifenbreite leben, denn der Akku des Umwerfers limitierte die Breite des Hinterreifens; schon mit 40-mm-Gravelreifen konnte es eng werden. Die neue Force Etap AXS Wide bietet jetzt Platz für bis zu 45 mm breite Reifen in 28 Zoll. Kleinere 650B-Pneus dürfen sogar satte 2,1 Zoll (52 mm) breit bauen.
Um den Umwerfer weiter nach außen zu bekommen, mussten allerdings auch das Kettenblatt und der Kurbelarm etwas zur Seite rücken. Und damit keine Schlagseite entsteht, wandert auch der linke Kurbelarm etwas weiter nach außen: 2,5 mm auf jeder Seite ergeben einen um 5 mm breiteren Q-Faktor.
Mit den neuen AXS-Gruppen hatte sich Sram schon von klassischen Kettenblattgrößen wie 52/36 und 50/34 verabschiedet. Stattdessen wurden 48/35 (semikompakt) und 46/33 (kompakt) als neue Kombinationen eingeführt. Die neue Force AXS Wide kommt nun mit einem großen 43er-Kettenblatt und einem kleinen Blatt mit 30 Zähnen. Zusammen mit dem 36er-Ritzel reicht das, um auch 20-Prozent-Rampen zu bezwingen.
Erfreulich: Die neuen Komponenten sind mit den bisherigen Force-AXS-Teilen grundsätzlich kompatibel: Wer hinten einen "Rettungsring" benötigt, muss nur Kassette und Schaltwerk austauschen. Wer eine Bergkurbel sucht, nimmt nur den neuen Wide-Umwerfer samt passender Kurbel. Allerdings funktionieren Kurbel und Umwerfer nur zusammen. Und wer die neue 10–36-Kassette möchte, braucht auch das neue Schaltwerk. Damit lassen sich aber auch die bereits bisher lieferbaren 10–33- und 10–28-Kassetten schalten, nur die 10–26-Kassette ist zu klein.
In der Praxis kann die neue "breite" Force voll überzeugen. Auch in steilsten Trails bergauf lässt es sich dank der kleinen Übersetzung noch rund pedalieren. Und die Zweifach- kurbel hilft, große Gangsprünge zu vermeiden. So findet jeder die für ihn passende Trittfrequenz. Auch die Reifenfreiheit ist ordentlich. Schwalbes 40 mm breite G-One Bite haben am Testrad noch ordentlich "Luft" zum Umwerfer-Akku. Der breitere Q-Faktor mag für sehr "Knieempfindliche" etwas Umgewöhnung oder eine Cleat-Anpassung bedeuten, den Testern fiel es aber nicht unangenehm auf.
Gerade mal zwei Monate nach der Vorstellung der neuen 12-fach-Gruppe Red Etap AXS legt Sram nach – und bringt erstmals eine elektronische Force auf den Markt. Die übernimmt nahezu alle technischen Lösungen der Red, schaltet kabellos, hat 12 Gänge am Hinterrad und kopiert das neue Übersetzungskonzept von Sram mit kleineren Kettenblättern und 10er-Ritzel, ist aber dank teils anderer Materialen und abweichender Details günstiger. Eine klare Kampfansage an Shimanos Ultegra Di2, die im Bereich der gehobenen Mittelklasse bislang das Monopol an elektronischen Schaltgruppen innehat.
Schaltwerk und Umwerfer der neuen Force arbeiten mit den gleichen Motoren und der gleichen Elektronik wie die Red-Pendants, die Hebel bieten dieselbe Ergonomie und Schalttastengröße, allerdings lässt sich bei der Force pro Seite nur ein zusätzlicher Schaltknopf anschließen – hier muss man sich also entscheiden, ob man auch vom Oberlenker oder, zum Beispiel beim Sprinten, im Unterlenker schalten können möchte. Bei der Red geht dank zwei Anschlüssen pro Seite beides. Von der Red übernimmt die Force unverändert oder nur mit marginalen Abweichungen die optisch auffällige Kette, den Flüssigkeitsdämpfer im Schaltwerk, der die Kette straffen und ihre Effizienz erhöhen soll, und das leichte Dub-Innenlager.
Die 2-fach-Kurbeln bietet Sram "nur" mit den Kombinationen 48/35 und 46/33 an, die "Profi-Übersetzung" 50/37 bleibt der Red vorbehalten. Alle Kurbeloptionen – ob als 1-fach-, 2-fach- oder 1-fach-Aero-Modell – sind auf Wunsch auch mit Leistungsmessung erhältlich, die Wattwerte werden für beide Beine separat erfasst. Sram verspricht mindestens 200 Stunden Laufzeit dank CR2032-Knopfzellenbatterie, die selbständig und ohne Werkzeug gewechselt werden kann.
Im Gegensatz zum Red-Powermeter bilden Kurbeln und Kettenblätter bei der Force keine Einheit. Vorteil: Beim Verschleiß der Kettenblätter muss nicht das komplette System ausgetauscht werden; Nachteil: 100 statt 36 Gramm Mehrgewicht. Endverbraucher können – im Gegensatz zur Red – vorerst allerdings keine fertige Force-Leistungsmesskurbel ordern, sondern müssen die "normale" Kurbel kaufen (435 Euro) und den separaten Spider mit Powermeter nachrüsten (599 Euro).
Die Kassette mit den auffällig-schwarzen Ritzeln kommt am Stück, ist allerdings nicht – wie bei der Red – aus einem Block gefräst. Verfügbar sind die Abstufungen 10–26, 10–28 und 10–33.
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Sehr gut ist der erste Fahreindruck: Wie bei der Red gehen die elektronischen Schaltvorgänge sehr schnell vonstatten – nach subjektivem Eindruck liegen sie auf Augenhöhe mit den kabelgebundenen Systemen Di2 von Shimano und EPS von Campagnolo. Das Übersetzungsspektrum ist breit und entwickelt sich besonders bei den großen Gängen harmonisch dank enger Abstufung, Gangwechsel erfolgen auch unter Last stets geschmeidig. Die Scheibenbremse gibt sich kraftvoll und gut dosierbar. Alternativ gibt es die Force Etap übrigens auch für Felgenbremsen, deren Bremskörper überarbeitet wurde und nun auch Platz für breitere Reifen bis 28 mm lässt.
Manchen Fahrer mag angesichts der kleinen Kettenblätter die Sorge umtreiben, dass bei hohem Tempo die Gänge fehlen. Diese ist nach RB-Eindruck unbegründet: Dank des kleinen 10er-Ritzels am Hinterrad ist das zur Verfügung stehende Gangspektrum sogar größer als bei den bisher bekannten Antriebs-Kombinationen. Allerdings fährt man tatsächlich häufiger als bisher auf dem großen Kettenblatt.
Wie bei der Red AXS lässt sich auch für die Force per App programmieren, welche Schalttaste welche Funktion übernehmen soll. Darüber hinaus können optional verschiedene Schaltmodi aktiviert werden. Im "Compensating"-Modus signalisiert der Fahrer per Tastenklick "nur", dass leichter oder schwerer getreten werden soll, und die Schaltung entscheidet aufgrund der Frequenz und Gangwahl selbständig, ob für den gewünschten Schaltschritt hinten am Ritzelpaket geschaltet wird oder ein Kettenblattwechsel mit Ausgleichsschritten am Hinterrad effizienter ist. Im "Sequential"-Modus betätigt der Fahrer den Umwerfer selbst, passt die Trittfrequenz dann aber durch selbständiges Schalten an der Kassette an. Wie viele Ritzel als Ausgleich geschaltet werden können, legt der Fahrer vorher in der App fest.
Nach den ersten Testfahrten fällt das RB-Urteil positiv aus: Ähnlich wie bei Shimanos Di2 sind diese Hilfestellungen der elektronischen Schaltung eine durchaus sinnvolle Option und nicht nur für "Spielkinder" interessant. Die Schaltvorgänge gelingen sauber und geschmeidig, sind allerdings leicht zeitversetzt: Gleichzeitiges Schalten vorne und hinten vermeidet die Schaltung, was sinnvoll ist, aber eine kurze Sekunde des "Leerlaufs" bedeutet.
Grundsätzlich gilt: Die Force setzt auf etwas einfachere Materialien, wie z. B. günstigere Carbon-Fasern bei der Kurbel, Stahl statt Aluminium am Umwerferkäfig und massive statt hohle Nieten bei der Kette. In der Summe bedeutet das: höheres Gewicht, dafür günstigerer Preis. Rund 300 Gramm wiegt die Force nach RB-Messung mehr, kostet aber 1000 Euro weniger.
Die neue Gruppe ist ab sofort an Kompletträdern und auch separat erhältlich, wobei es Hebel, Schaltwerk, Umwerfer und Bremsen vorerst nur als Set gibt. Und die ROADBIKE bereits zur Verfügung stehende Testgruppe wird in den kommenden Monaten von verschiedenen Fahrern auf Herz und Nieren getestet.
Ausführung | Gewicht | Preis* |
1-fach mit Felgenbremse | 2213 g | 2058 Euro |
1-fach mit Scheibenbremse | 2572 g | 2148 Euro |
2-fach mit Felgenbremse | 2453 g | 2408 Euro |
2-fach mit Scheibenbremse | 2812 g | 2548 Euro |
2-fach mit Disc & Leistungsmessung | 2985 g* | 3147 Euro |
*RB-Messung mit 172,5mm-Leistungsmesskurbel 48/35, Kassette 10-28, BB30-Dub-Innenlager und Akkus; alle anderen Gewichtsangaben in der Tabelle sind Herstellerangaben.