Sechs Carbon-Laufräder im Labor- und Praxistest
Sind Cabon-Laufräder allttagstauglich?

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Revolutionär oder unausgereift? RoadBIKE hat sechs Carbon-­Laufräder für Drahtreifen getestet. Mit überraschenden Ergebnissen.

RB Carbon-Laufräder Teaserbild
Foto: Benjamin Hahn

Nichts löst bei Rennradfahrern so heftige ­Will-haben-Reflexe aus, wie Carbonlaufräder. Leichter, steifer und schneller als ihre Alu-Pendants sind die schwarzen Schätze der Profis ein Traum – auch für viele Hobbyfahrer. Ein Traum, der meist schnell zerplatzt, wenn die Sprache auf den Kaufpreis sowie das lästige, schwierige Kleben der Schlauchreifen kommt.

Zumindest für Letzteres versprechen mehrere Hersteller nun Abhilfe: Carbon-Clincher heißt das Zauberwort, das Hobbyfahrer aufhorchen lässt – Carbonfelgen für Drahtreifen. Keine Entwarnung gibt es dagegen beim Preis: Ein teurer Spaß bleiben die Kohlefaserräder auch künftig.

Doch sind die Carbon-Clincher wirklich die Erfüllung des lang gehegten Traums vom alltagstauglichen Leichtbau? Einige Entwickler sind vorsichtig und sprechen bei diesem Thema hinter vorgehaltener Hand eher von einem Albtraum. Von zu großer Hitzeentwicklung beim Bremsen ist die Rede, von verformten Flanken und geplatzten Schläuchen – Folgen des hohen Drucks, der – anders als bei Tubular-Modellen – von innen auf der Felge lastet. Doch der Durchbruch soll geschafft sein – gleich sechs ­renommierte Hersteller melden dieser Tage: "Clincher-Modelle lieferbar!"

Um herauszufinden, ob die Konstruktionen halten, was das Marketing verspricht, hat RoadBIKE DT Swiss, Easton, Fulcrum, Lightweight, Xentis und Zipp zum Test geladen. Neben den üblichen RoadBIKE-Lauf­radtests – also Gewicht, Seitensteifigkeit, Torsionssteifigkeit, Trägheit und Aufbauqualität – mussten die Carbon-Clincher auch einen zweigeteilten Bremstest absolvieren: In der Praxis und auf einem neuen Prüfstand, der Aussagen zur Bremskraft sowie zum Bremsverhalten bei Trockenheit und Nässe zulässt.

Der große Unterschied

Zunächst ging es für die Kandidaten jedoch auf die Waage, wo sich bereits große Unterschiede zeigten: Den Spitzenreiter Light­weight mit seinen 1172 Gramm (ohne Schnellspanner) und das Schlusslicht Zipp trennen rund 400 Gramm. Ein enormer Abstand, wenn man bedenkt, dass geringes Gewicht ein Hauptargument für den Einsatz von Carbon im Laufradbau ist.

Auch bei allen anderen Messungen – so viel sei verraten – konnte kein Mitbewerber das "Leichtgewicht" ausstechen. Bei der Seitensteifigkeit etwa erreicht außer dem Lightweight kein Laufrad den von Road­BIKE geforderten "grünen Bereich" jenseits der 70 Nm/°. Werte von unter 55 Nm/°, wie bei den Hinterrädern von DT Swiss und Xentis, sind auch in Anbetracht der niedrigen Gewichte zu wenig, was sich negativ auf die Kraftübertragung auswirkt.

Das Notenspektrum voll ausschöpfen musste RB auch bei der für den Antritt wich­tigen Torsionssteifigkeit: Lightweight und Fulcrum liegen hier vorn. Die schwächeren Werte von DT Swiss, Easton und Xentis sind absolut betrachtet immer noch top. Schwer tut sich erneut das Zipp, das sich unter Kettenzug doppelt so stark verwindet wie die Besten im Test. Auch bei der Massenträgheitsmessung fällt das 404 ab.

Die letzte Prüfung im RB-Labor galt schließlich der Aufbauqualität der Laufräder. Ergebnis: Auch die zum Teil exorbitanten Preise garantieren keine vorbildliche Qualität! Außer Lightweight und Easton gab kein Hersteller einen makellosen Satz in den Test. Entweder waren die Prüflinge mehr als einen Millimeter aus der Mitte zentriert oder sie hatten spätestens nach der Testbelastung einen Seitenschlag von mehr als einem halben Millimeter.

Bremsverhaltensforschung

Dann hieß es für die Laufräder: Ab zum Laborbremstest. Um herauszufinden: Sind die berüchtigten "Carbon-Probleme" behoben? Die Antwort ist ein klares "Jein". Im Trockenbremstest konnten alle Felgen überzeugen. Zwar liegen die Maximalkraftwerte der Carbonfelgen in Kombination mit den vom Laufradhersteller empfohlenen Bremsbelägen erheblich unter dem Wert der mitgetesteten Alu-Referenz, aber selbst der niedrigste Carbonreibwert ist noch so gut, dass die übertragene Bremskraft jeweils locker ausreicht, um den Reifen blockieren zu lassen.

Ein anderes Bild lieferte der Nassbremstest: Hier zeigte sich, dass es große Unterschiede im Vergleich zum Trockenbremsverhalten geben kann. Während die meisten Felgen gut gegen das Wasser auf der Flanke ankommen und sich dann recht schnell die im Trockentest gezeigte Kraft aufbaut, bieten die Modelle von Fulcrum und Zipp nass nur mäßige Performance. Beim Zipp steigt die Bremskraft, obwohl langsam, immerhin gleichmäßig an – beim Fulcrum passiert lange gar nichts, bevor dann allmähliche Verzögerung einsetzt. In Extremsitua­tionen – dazu zählen etwa Pass­abfahrten bei starkem Regen – kann das äußerst beunruhigend sein.

Was der La­bortest aufgrund der recht kurzen Bremsdauer nicht aufzeigen kann, ist die Reaktion der Laufräder auf Hitzeentwicklung. Deshalb wurden alle Modelle auch in der Praxis getestet. Als Strecke diente eine rund 10 % steile Abfahrt, die auf 2200 Metern 250 Höhenmeter überwindet. Jeder Satz wurde unter nahezu identischen Bedingungen 2-mal gefahren: Der Tester beschleunigte pro Fahrt 12- bis 15-mal auf 55 km/h (je nach Länge des Bremswegs), um dann – kurz, kräftig und ohne Schleifbremsung – wieder auf 15 km/h abzubremsen. Das Systemgewicht Fahrer/Renn­rad betrug rund 90 kg, der Reifendruck (kalt) 7,5 Bar.

Die Tests belegen, dass die "Clincher-Probleme" weiterhin bestehen: Die Modelle von DT Swiss, ­Easton und Fulcrum wiesen nach weniger als 30 Bremsungen sichtbare Schäden an den Flanken auf! Damit disqualifizieren sie sich für den Einsatz im Gebirge, waren die Testbedingungen doch weit von Extremsituationen entfernt, wie sie auf Passabfahrten auftreten können.

Ein weiteres Problem war die Abnutzung der Bremsbeläge – obwohl die Laufradhersteller aufgefordert waren, passende Beläge mitzuliefern. So waren die Swissstopp-Modelle beim Easton, die Campa­gnolo-Gummis beim Fulcrum und die Korkbeläge beim Zipp schon nach wenigen Bremsungen so stark abgenutzt, dass ein Wechsel anstünde: Eine Pässetour oder einen Berg-Marathon hätten diese Beläge nicht überstanden!

Licht und Schatten gab‘s beim Xentis, für das der Anbieter keine Spezialbeläge fordert. Von den mitgeschickten 7800er-Dura-Ace-Belägen (R55C2 und R55C) zeigte indes nur der R55C2 akzeptablen Verschleiß. Der R55C war nach 10 Bremsungen verschlissen. Die Abnutzung der Swissstopp-Beläge beim DT Swiss ging dagegen in Ordnung. Tipp: Experimentieren mit den Belägen lohnt sich. Gute Er­fahrun­gen machte RB etwa mit gelben Swissstopp-Belägen auf Xentis und Zipp.

leibt die Light­weight-Swissstopp-Kombination: Sie überzeugte im Test. "Akzeptabler Abrieb, keine Schäden, tolles Bremsverhalten", notierten die Tester. Zusammen mit den übrigen Messwerten heißt das für Lightweight schlicht: "Über­ragend".

Ein Wermutstropfen bleibt auch hier: Vor Beginn des Tests übernahm RB einen zweiten Satz Lightweights in den Dauertest. Auf Pässetour in den Dolomiten trat beim Brem­sen ein Schaden an der Bremsflanke des Vorderrades auf. Auch wenn dieser Vorfall bei diesem Test nicht in die Wertung einfließt, um Chancengleichheit zu gewährleisten, zeigt er doch, dass auch bei Light­weight Hitze problematisch werden kann.

Die gute Nachricht: Alle Schäden, die in den RB-Tests aufgetreten sind, hätten für den Fahrer kein akutes Sicherheitsrisiko dargestellt. Wie die Hersteller im Einzelnen auf die Vorfälle reagierten, lesen Sie im Kasten rechts. Über weiterführende Analysen und Erkenntnisse der Hersteller wird Road­BIKE berichten, sobald diese vorliegen.

Die Laufräder in diesem Test:

So testet RoadBIKE die Carbon-Laufräder

Gewicht:

RB Laufrad-Test
Kurvige Abfahrten können für Laufräder eine große Belastung sein.

RoadBIKE gibt die Einzelgewichte der Laufräder, sowie das Satzgewicht mit und ohne serienmäßig mitgelieferte Schnellspanner an. Der leichteste Satz bekommt die Bestnote, die schwereren Modelle erhalten entsprechend weniger Punkte. ­Gewertet wird das Gewicht ohne Schnellspanner.

Seitensteifigkeit:

Eine Prüfkraft von 200 Newton wirkt seitlich auf die Felge des horizontal (an der Nabe) im Prüfstand eingespannten Laufrades. Die gemessene Verformung beschreibt den Widerstand des Laufrades gegen seitliche Belastungen. In der Praxis bedeutet ein steife­­res Hinterrad weniger Kraft­verlust beim Treten, ein seitensteiferes Vorderrad präzisere Lenkmanöver. Die Werte werden in Nm/° angegeben. Je höher die Zahl, desto besser.

Torsionssteifigkeit:

RB Bremsenprüfstand
Bremsenprüfstand an der FH Technikum Wien.

Bei jeder Kurbelumdrehung leitet die Kette über das Ritzelpaket ein Drehmoment in das Laufrad ein. Die dabei entstehenden enor­men Belastungen verdrehen die Nabe relativ zur Felge, was einen Teil der Antriebsenergie kostet. Auf dem Prüfstand wird eine Pedalkraft von 1000 Newton simuliert. Die Felge wird fixiert, eine Kette leitet das Drehmoment ein. Je geringer die dabei entstehende Verformung, umso effizienter der Vortrieb. Die Torsionssteifigkeit wird in Grad angegeben. Je niedriger der Wert, desto besser.

Trägheit:

Zur Messung der Trägheit beschleunigt eine Masse von 535 Gramm das drehbar gelagerte Laufrad. Lichtschranken am Prüfstand messen die Zeit, die das Gewicht über eine definierte Wegstrecke benötigt. Antriebsgewicht und Lagerung des Laufrades sind so gewählt, dass die Einflüsse der Lagerreibung und der Achse vernachlässigbar klein sind. Je schneller das Gewicht den Weg zurücklegt, umso besser lässt sich das Laufrad in der Praxis beschleunigen. Der Wert wird in Millisekunden angegeben. Je kleiner die Zahl, desto besser beschleunigt das Laufrad.

Aufbau:

Mit einer Präzisionslehre wird ermittelt, ob Nabe und Felge exakt fluchten. Höhen- und Seitenschlag werden von Messuhren erfasst, an jedem Laufrad im Neuzustand und nach Abschluss des Labortests. Werte unter 1 mm (Mittigkeit) bzw. einem halben Millimeter geben noch keinen Anlass zur Kritik.

Bremsverhalten:

Mit einem Prüfstand des Technikums Wien wurde das Nass- und Trockenbremsverhalten der verschiedenen Sätze ermittelt. Anschließend ging es für den Praxistest auf die Straße.

Im Detail: Die Messung des Bremsverhaltens

Für den Test des Bremsverhaltens ging RoadBIKE eine Kooperation mit dem Studiengang Sportgerätetechnik an der FH Technikum Wien ein. Dort hat ­Clemens Oertel einen Bremsenprüfstand entwickelt, der Aussagen über Bremskraft, Nassbremsverhalten und Dosierbarkeit zulässt.

Um vergleichbare Werte zu erhalten, kam im Test immer die gleiche Ultegra-Bremse zum Einsatz, die jeweils mit den vom Laufradhersteller empfohlenen Belägen versehen wurde. Nur so lässt sich das unterschiedliche Brems­verhalten der Laufradsätze herausfiltern.

Um die Bremskraft ermitteln zu können, wird das jeweilige Laufrad über Rollen angetrieben, während ein Pneumatikzylinder den Bremshebel mit einer Kraft von 100 Newton betätigt. Das dabei erzeugte Bremsmoment stützt sich an einer hochpräzisen Kraftmesszelle ab, aus deren Messwerten sich die Bremskräfte errechnen lassen. Aus den Daten ergibt sich ein Diagramm (rechts), das zusätzlich auch Auskunft über die ­Dosierbarkeit gibt. Je steiler die Kurve ansteigt, desto bissiger bremst die jeweilige Kombination.

RB 1010 Carbon-Laufräder - Bremskraft

Das Nassbremsverhalten wurde auf die gleiche Weise ermittelt. Einziger Unterschied: Das Laufrad wurde gezielt mit einer definierten Wassermenge benetzt. Nach einer definierten Benetzungs­dauer startet das Prüfprogramm, und das Benetzen endet kurz vor dem Anziehen des Hebels. Die Bremse öffnet sich erst wieder, wenn die Maximalkraft erreicht ist – oder nach Ablauf der maximalen Prüfzeit.

RB 1010 Carbon-Laufräder - Nassbremsverhalten

Im Praxistest wurden mit jedem Laufrad zwei definierte Abfahrten absolviert (2,2 km, 250 hm). Dabei wurde jeweils zwischen 12- und 15-mal von rund 55 km/h auf 15 bis 20 km/h verzögert. Das Systemgewicht aus Fahrer und Rad betrug rund 90 Kilo, der Reifendruck 7,5 bar.

Fazit: Testlaufräder von überragend bis schwach

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Erscheinungsdatum 09.04.2024