Sechs robuste Rennradreifen im Labor- und Praxistest
Sechs Rennradreifen im Vergleichstest

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Im Winter werden Rennradreifen durch Split und Schlaglöcher auf eine harte Probe gestellt. RoadBIKE hat getestet, welche Modelle durchhalten.

RB Rennradreifen Test Taeserbild
Foto: Daniel Geiger

Keine Frage: Sobald das Thermometer einstellige Temperaturen zeigt, ist es höchste Zeit, Winterreifen aufzuziehen. Für Autofahrer eine Selbstverständlichkeit und mittlerweile Pflicht – für Rennradfahrer ein Problem.

Denn während es für Pkws eine Fülle von Modellen gibt, suchen Radsportler in den Katalogen der Hersteller vergeblich nach echten, ausgewiesenen Winter-Rennradreifen. Dabei gibt es die passenden Pneus für widriges Wetter – sie zu finden, ist jedoch mitunter gar nicht so einfach.

Verborgene Talente

In den Produktbeschreibungen verstecken sich Modelle mit hohem Pannenschutz und viel Grip – den wichtigsten Eigenschaften eines Winterreifens – nämlich häufig hinter Begriffen wie 4-Season, Training oder Langstrecke. Hinweise auf die Wintertauglichkeit fehlen in der Regel.

Bei der Zusammenstellung des Testfeldes hat sich RoadBIKE deshalb helfen lassen und sechs renommierte Hersteller gebeten, ihre Sortimente nach den optimalen Reifen für die Bedingungen der kommenden Monate zu durchforsten. Gesucht war robustes Material, das sich gegen spitzen und scharfen Split zu wehren weiß und auch auf nassem Untergrund nicht ins Rutschen kommt.

Zum einem mussten sich diese Kandidaten in den Prüflabors von Continental und Schwalbe verschiedenen Durchstich- und Rollwiderstandstests stellen, zum anderen ging es mit allen Reifenpaaren bei "bestem" Winterwetter auf die nasse Test­runde. Die Ergebnisse aus beiden Testteilen ergeben schließlich die Endnote.

Als Erstes wurden die Reifen jedoch gewogen und vermessen. Hier zeigte sich bereits deutlich, wie unterschiedlich die Hersteller das Thema angehen: Die tatsächlich gemessenen Breiten liegen zwischen 22,6 Millimeter beim Vrede­stein und 25,6 Millimeter beim Michelin. Dass die meisten Hersteller eher auf breite Modelle jenseits der 24 Millimeter setzen, hat einen guten Grund: Je breiter die Reifen, desto komfortabler fahren sie sich.

Gerade im Winter, wenn die Straßen häufig dreckig sind, und der Frost den Belag rissig macht, sind leicht federnde Reifen deutlich angenehmer zu fahren als schmale Modelle, die den Fahrer jeden Kiesel spüren lassen. Einziger Nachteil der breiten: Sie machen ein Rad spürbar weniger wendig, was die meisten Fahrertypen aber angesichts des Komfortplus wohl leicht verschmerzen werden. Der Rollwiderstand erhöht sich mit zunehmender Breite übrigens nicht. Im Gegenteil: Bei gleichem Luftdruck und gleicher Bauart rollen breitere Reifen leichter ab als ihre schmalen Pendants.

Im Testfeld haben Continental, Michelin und Vittoria in dieser Disziplin die Nase vorn und fahren ein erfreuliches Ergebnis ein: Sie rollen zum Teil leichter als die ausgewiesenen Wettkampfreifen dieser Anbieter! Was den Rollwiderstand angeht, müssen Winterradler also keine nennenswerten Abstriche in Kauf nehmen.

Winterspeck

Anders sieht es beim Gewicht aus. Während leichte Rennreifen mittlerweile weniger als 180 Gramm wiegen, kommt der Continental Grand Prix 4-Season als leichtester Reifen in diesem Test auf 215 Gramm – eine Folge des erhöhten Materialeinsat­zes, den die Breite und der bessere Pannenschutz notwendig machen.

Was zunächst recht viel wirkt, relativiert sich jedoch vollständig beim Blick auf das Testfeld. Contis All­rounder wiegt satte 160 Gramm weniger als der Schwalbe Durano Plus, der mit 375 Gramm der schwerste Reifen im Test ist. Ein gewaltiger Unterschied!

Zwar gehört das Gewicht anders als bei reinen Wettkampfreifen in dieser Kategorie nicht zu den wichtigsten Kriterien. Gegen leichte Reifen ist aber auch im Winter nichts einzuwenden, wenn die ihre Hauptaufgabe erfüllen: zuverlässig vor Pannen zu schützen. Um Aufschluss darüber zu erhalten, wie gut ein Reifen gegen spitze Steine und Scherben gewappnet ist, werden im Labortest die Kräfte ermittelt, die notwendig sind, um verschieden breite Stichel (1,5 und 5 mm) durch den Reifen zu treiben.

Diese Tests sind zwar nur eine theoretische Annäherung an die Realität, gleichzeitig aber auch die einzige reproduzierbare Möglichkeit, die Aussagen zur Pannensicherheit erlaubt. Die Gefahren, die in der Praxis auf Reifen lauern, sind einfach zu vielfältig, um sie im Labor umfassend nachstellen zu können. Die Ergebnisse dieser Labortests sind schlicht beeindruckend.

Die Reifen im Test:

Wichtig: Guter Pannenschutz

Wieder ist es der Continental Grand Prix 4-Season, der die Messlatte für die Konkurrenz in unerreichbare Höhen legt – und das als leichtester Reifen im Test. Beim Versuch mit dem 1,5-Millimeter-Stichel liegen zwar Michelin und Specialized noch einen Tick vor dem 4-Season, beim Klingentest haben aber auch sie keine Chance. Ein spezielles Gewebe im Reifen sorgt dafür, dass der Grand Prix 4-Season extremen Schutz vor "Schnittverletzungen" bietet. Ein Ergebnis, das sich im Übrigen mit den bisherigen Praxiserfahrungen der RoadBIKE-Test-Mannschaft deckt.

Überrascht hat hingegen das mäßige Abschneiden des Schwalbe Durano Plus. Seine Pannenschutzeinlage aus Kaut­schuk schafft es nicht, sich gegen die eindringenden Testnadeln erfolgreich zur Wehr zu setzen. Vor allem die dünne Nadel geht so leicht durch den Reifen wie bei keinem anderen Modell. Dennoch hält Schwalbe-Produktmanager Christian Lademann den Reifen für die richtige Wahl.

Die Pannenschutzschicht sei so zäh, dass kleine Steinchen und Scherben es in der Praxis nicht schaffen würden, sich durch den Reifen zu arbeiten. Sie würden vielmehr wieder hinausgedrückt, versichert der Schwalbe-Mann. Und in der Tat hat sich das sogenannte Smartguard-System, das in dickerer Form auch im Trekking-Reifen Marathon zum Einsatz kommt, einen hervorragenden Ruf erworben. Im reproduzierbaren Labortest kann es jedoch nicht punkten, was zur Abwertung führt.

Bleibt die letzte Eigenschaft, die zwar eigentlich immer wichtig, im Winter aber besonders häufig gefordert ist: guter Grip bei Nässe. In strömendem Regen zirkelten die RoadBIKE-Tester mit den Test­reifen um enge Kurven, um zu erfahren, wann und wie die verschiedenen Modelle beginnen, den Halt zu verlieren. Auch hier waren die Ergebnisse durchweg gut bis überragend.

Besonders die Reifen von Continental, Michelin und Schwalbe sorgten – trotz Regen – für Begeisterung. Um diese Reifen ins Rutschen zu bringen, muss man schon mutwillig zu Werke gehen, und selbst dann lassen sie sich problemlos wieder "einfangen". Vorbildlich!

So hat RoadBIKE die Reifen getestet

Messungen:

Alle Messungen wurden in den Labors von Continental und Schwalbe vorgenommen. Dabei wurde der Rollwiderstand ermittelt und mit verschiedenen Durchstichtests die Pannensicherheit der Reifen geprüft. Getestet wurde mit den Standardschläuchen von Continental und Schwalbe auf jeweils der gleichen Felge. Der Reifendruck betrug bei allen Tests acht Bar, mit diesem Druck wurden auch die Breiten und Höhen aller Modelle gemessen.
Für den Praxistest wurden die Reifen nacheinander auf demselben Laufradsatz montiert. Auf einem nassen Parcours mit schnellen Abfahrten und engen Kurven wurden alle von jeweils drei Testern gefahren.

Rollwiderstand:

In diesem Test wurde ermittelt, wie viel Leistung (Angaben in Watt) notwendig ist, um einen Reifen mit konstant 30 km/h zu bewegen. Die abgedruckten Werte sind der Mittelwert aus den Ergebnissen beider Labors. Überzeugen konnten die Modelle von Continental, Michelin und Vittoria – die Reifen von Vredestein, Schwalbe und Specialized rollen insgesamt schlechter.

RB 0211 Reifen - Rollwiderstand

Durchstich:

Um Aufschluss darüber zu erhalten, wie viel Pannenschutz die einzelnen Modelle bieten, wurden unterschiedlich breite und spitze Stichel durch den Reifen getrieben: Eine 1,5 mm dicke Nadel und eine 5 mm breite Klinge. Je mehr Kraft – gemessen in Newton – notwendig war, um durchzukommen, desto besser. Das verrechnete Ergebnis aus beiden Tests ergibt die Bewertung des Pannenschutzes.

Beim Nadeltest liegen Specialized, Michelin und Continental an der Spitze des Feldes fast gleich auf, beim Klingentest überragt Continental die Konkurrenz um Längen. Um den Grand Prix 4-Season mit der Klinge zu durchstechen, ist mehr als doppelt so viel Kraft nötig wie bei den übrigen Modellen im Test. Platz zwei geht an Vredestein – knapp dahinter liegt Michelin auf dem dritten Rang.

RB 0211 Reifen - Stich 1,5 mm Nadel
RB 0211 Reifen - Stich 5 mm Klinge

Gewicht :

Von jedem Modell wurden drei Reifen gewogen. Die abgedruckten Werte sind das Mittel dieser Messungen. Spitzenreiter ist erneut Conti.

RB 0211 Reifen - Gewicht

Bewertung:

Die Endnoten in den Testbriefen setzen sich aus den Ergebnissen der Labormessungen und des Praxis­tests zusammen. Da es im Winter vor allem auf Sicherheit und Grip ankommt, erhalten bei der Bewertung die Kategorien Pannenschutz und Fahrverhalten die größte Bedeutung. Die einzelnen Wertungen gehen zu folgenden Anteilen ins Endergebnis ein – Rollwiderstand: 20 Prozent; Pannenschutz: 30 Prozent; Gewicht 20 Prozent; Fahrverhalten 25 Prozent; Montage 5 Prozent.

Drei Alternativen zu den Testreifen

Continental Grand Prix 24 mm

RB Continental Grand Prix 24 mm

Schnell: Wem es auch beim "Winterreifen" hauptsächlich auf geringes ­Gewicht und wenig Rollwiderstand ankommt, sollte über den Grand Prix in 24 mm nachdenken. Er ist leichter und schneller als der 4-Season, bietet aber dennoch viel Grip. Beim Pannenschutz schneidet er zwar schlechter ab als der Testsieger, die Werte sind absolut gesehen jedoch top.

Durchstich: 182,6/623,1 Newton
Rollwiderstand: 19,2 Watt
Gewicht: 215,1 Gramm

Specialized Turbo Tubeless

RB Specialized Turbo Tubeless
Specialized

Spartanisch: Die Tubeless-Version des Turbo kommt ohne Schlauch aus. Wenn er auf einer geeigneten Felge montiert wird (gibt es u. a. von DT-Swiss, Campagnolo oder Shimano), schließt er luftdicht ab. Ist der Reifen mit Pannenmilch gefüllt, kommt man mit ihm sogar bei einer "Stichverletzung" noch nach Hause. Im Pannenfall lässt sich aber auch ein Schlauch einziehen.

Durchstich: 154,8/402,1 Newton
Rollwiderstand: 21 Watt
Gewicht: 297,8 Gramm

Schwalbe Marathon Plus

RB Schwalbe Marathon Plus
Christian Lampe

Sicher: Im Winter geht Ihnen Pannensicherheit über alles? Dann ist vielleicht der ­Marathon Plus in seiner schmalsten Variante (25 mm) Ihr Reifen. Die Pannenschutzschicht aus Kaut­schuk ist noch dicker als beim Durano Plus und – laut Hersteller – der wirksamste Schutz gegen Steinchen und Scherben im Schwalbe-Sortiment.

Durchstich: 138,1/473,7 Newton
Rollwiderstand: 31,4 Watt
Gewicht: 552,9 Gramm

Fazit: Conti-Reifen gewinnt den Test

Top-Werte beim Rollwiderstand, gepaart mit viel Pannenschutz und relativ gesehen niedrigem Gewicht, machen ihn für die meisten Fahrer nicht nur zum besten Winterreifen, sondern zu einer echten Alternative fürs ganze Jahr – 4-Season eben. Nur knapp dahinter: Der Michelin Pro Optimum – Kauftipp!

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Erscheinungsdatum 05.03.2024