8 Carbon-Clincher-Laufräder im Labor- und Praxistest
Rennrad-Laufräder aus Carbon im Test

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Sie sind begehrt, aber nicht unumstritten. Deshalb wollte RoadBIKE wissen: Wie gut sind aktuelle Carbon-Laufräder für Drahtreifen wirklich?

RB-0812-Laufradtest-Teaser
Foto: Daniel Geiger

Es quietscht, es riecht verbrannt, Bremsbeläge lösen sich auf: Bei einem Test von Carbon-Laufrädern für Drahtreifen, der Einfachheit halber kurz "Carbon-Clincher" genannt, ist vieles anders als bei "normalen" Laufradtests.

Denn die heiß begehrten Carbon-Felgen verhalten sich beim Bremsen anders, als man das von Aluminium-Modellen kennt. Zum eigenen Schutz tragen die RoadBIKE-Tester deshalb Vollvisierhelm und Protektoren, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein, wenn sie unter Realbedingungen herauszufinden versuchen: Wie gut sind Carbon-Clincher der neuesten Generation?

Als RoadBIKE vor 2 Jahren (RoadBIKE 10/10) erstmals die exklusiven, wegen ihrer alltagstauglichen Bereifung (keine verklebten Schlauchreifen wie bei Carbon-Felgen oft üblich) angeblich für jeden Rennradfahrer geeigneten Carbon-Laufräder testete, war das Ergebnis alarmierend: Entweder waren die Bremsbeläge viel zu schnell verschlissen, oder die Bremsflanken nahmen Schaden.

Delaminationen, also die Auflösung der Carbon-Struktur, waren ebenso an der Tagesordnung wie beängstigend schlechte Bremsleis­tungen. Die Hitzeentwicklung, die Felgenbremsen auf den begrenzt hitzeresis­tenten, von Epoxidharz zusammengehaltenen Carbon-Gelegen erzeugen, hatte kaum ein Hersteller zuverlässig im Griff!

Einige Anbieter zeigten sich von den Ergebnissen überrascht, viele versprachen Besserung. Zurück blieb das ungute Gefühl, dass hier unausgereifte Produkte in Kundenhand gelangten. Warum? Carbon-Clincher sind begehrt – und versprechen gute Umsätze.

Heute, 2 Jahre später, sind alle Modelle überarbeitet, einige Felgen komplett neu entwickelt. Deshalb hat RoadBIKE 8 aktuelle Carbon-Clincher zwischen 1.349 und 3.650 Euro pro Satz getestet – 7 mit rund 45 Millimeter hohen Felgen, ein Set von Fulcrum mit flacher Felge, weil die Campagnolo-Tochter derzeit keine Carbon-
Clincher mit hohem Felgenprofil anbietet.

Alle Laufräder durchliefen das gleiche umfangreiche Prozedere wie vor 2 Jahren: Die Räder wurden komplett vermessen, um seitliche und torsionale Steifigkeit, die Trägheit, Rundlauf und eventuelle Qualitätsmängel zu ermitteln.

Danach ging es auf die Reise zur FH Technikum Wien, wo auf einem gemeinsam mit RoadBIKE entwickelten Prüfstand die Brems­leis­tung bei Trockenheit und Nässe ermittelt wurde. Nach dem Messmarathon ging es auf die Straße, auch hier galt, neben Handling und Fahrstabilität, besonderes Augenmerk dem Bremsverhalten: Jeder Laufradsatz musste dabei über 30 Vollbremsungen in Serie überstehen.

Die Carbon-Laufräder in diesem Test

Carbon-Laufräder im Test: Bremsleistung besser

Die wichtigste Nachricht vorab: Zwar war den Laufrädern die Belastung deutlich anzumerken, Totalausfälle gab es aber erfreulicherweise keine.

Einige Hersteller verwenden nun hitzebeständigere Harze und spezielle Fasern in der Bremsflanke, der
entscheidende Faktor gegen vorschnellen Hitzetod von Carbon-Bremsflanken ist aber der Bremsbelag. Seine Zusammensetzung bestimmt die Reibung, mehr Reibung bedeutet mehr Bremspower – und mehr Hitze.

Grundsätzlich lässt sich mit Carbon-Clinchern mittlerweile sehr ordentlich bremsen. Allerdings bleibt die auf dem Prüfstand ermittelte maximale Bremskraft 10 bis 20 Prozent unter einer zum Vergleich mitgemessenen Alu-Felge. Der Leistungsabfall bei Nässe beträgt, wie auf Alu, etwa 20 Prozent – in der Praxis ausreichende Werte.

Nur das Bontrager-Set erzielte auf dem Prüfstand eine schwache Leistung: Schon bei Trockenheit lag es 33 Prozent hinter der Alu-Referenz, bei Nässe gar 60 Prozent!

Bremsen mit Carbon-Laufrädern: Der Belag entscheidet

Nach kräftigen Bremsungen ist an jeder Carbon-Felge das Grundproblem leicht nachvollziehbar: Die Bremsflanken sind extrem heiß, nur wenige Zentimeter daneben erwärmt sich das Material kaum. Grund: Carbon leitet Wärme schlecht. Die entstehende Hitze wandert lediglich in den Schlauch ab. Der Reifendruck steigt an – und drückt zusätzlich gegen die von der Hitze stark belastete Bremsflanke.

Um die Hitzeentwicklung gering zu halten, versuchen die Hersteller, die beim Bremsen entstehende Reibung zu begren­zen: Bis auf Xentis werden alle Laufräder im Test mit speziellen Bremsbelägen ausgeliefert, die meisten Hersteller schreiben diese zur Verwendung mit ihren Felgen vor – sonst erlöschen alle Garantieansprüche.

Bei den Felgen des Herstellers Reynolds – im Test an den Sets von DT Swiss, Reynolds und Ritchey verbaut – hatten die Bremsungen dennoch sichtbare Folgen: Bei allen entstanden auf den Bremsflanken kleine Unebenheiten.

Da erst nach weiteren Testfahrten eine Aussage möglich ist, ob diese Schäden nur Schönheitsfehler sind oder bereits auf eine Delamination hinweisen, vergibt RoadBIKE für diese Laufräder vorerst keine Note. Alle betroffenen Modelle wird RoadBIKE weiterfahren, um die Entwicklung zu beobachten – und darüber zu berichten.

Ärgerlich ist diese Nicht-Wertung für alle 3 Hersteller, denn die Laufräder sind, wie fast alle Testkandidaten, handwerklich überzeugend gebaut und hätten sich die Note "sehr gut" verdient.

Vor allem Lightweight zeigte einmal mehr, wie ein perfekt gebautes Laufrad aussieht: Äußerst steif und sauber zentriert, wird es auch höchsten Ansprüchen gerecht. Kleinere Schwächen bei der Steifigkeit zeigten nur Xentis und Fulcrum – diese herkömmlich gespeichten Räder lassen sich dafür problemlos nachträglich mit etwas höherer Speichenspannung stabilisieren.

Schwächen bei der Torsion, also der Verdrehung der Felge im Verhältnis zur Nabe, die im Hinterrad durch den Kettenzug entsteht, zeigte lediglich Zipp. Diese konstruktive Schwäche lässt sich kaum nachbessern. Auch bei der Trägheit lässt sich nichts korrigieren – sie wird vor allem durch das Gewicht der Felgen beeinflusst.

RoadBIKE-Messlabor: Die Testergebnisse des Bremsentests

Für den Test des Bremsverhaltens ging RoadBIKE eine Kooperation mit dem Studiengang Sportgerätetechnik an der FH Technikum Wien ein.

Dort hat ­Clemens Oertel einen Bremsenprüfstand entwickelt, der Aussagen über Bremskraft, Nassbremsverhalten und Dosierbarkeit zulässt.

Um vergleichbare Werte zu erhalten, kam im Test immer die gleiche Shimano-Ultegra-Bremse zum Einsatz, die jeweils mit den vom Laufradhersteller empfohlenen Belägen versehen wurde. Nur so lässt sich das unterschiedliche Brems­verhalten der Laufradsätze herausfiltern.

Um die Bremskraft ermitteln zu können, wird das jeweilige Laufrad über Rollen angetrieben, während ein Pneumatikzylinder den Bremshebel mit einer Kraft von 100 Newton betätigt.

Das dabei erzeugte Bremsmoment stützt sich an einer hoch präzisen Kraftmesszelle ab, aus deren Messwerten sich die Bremskräfte errechnen lassen. Aus den Daten ergibt sich ein Diagramm, das zu­sätzlich auch Auskunft über die ­Dosierbarkeit gibt. Je steiler die Kurve ansteigt, desto bissiger bremst die jeweilige Kombination.

RB-0812-Laufradtest-Grafik-Maximalkraft
RoadBIKE
RoadBIKE Bremstest Maximalkraft

Ermittlung des Nassbremsverhaltens mit definierter Wassermenge

RB-0812-Laufradtest-Grafik-Nassbremsverhalten
RoadBIKE
RoadBIKE Bremstest Nassbremsverhalten

Das Nassbremsverhalten wurde auf die gleiche Weise ermittelt. Einziger Unterschied: Das Laufrad wurde gezielt mit einer definierten Wassermenge benetzt. Nach einer festgelegten Benetzungs­dauer startet das Prüfprogramm, das Benetzen endet kurz vor dem Anziehen des Hebels.

Die Bremse öffnet sich erst wieder, wenn die Maximalkraft erreicht ist – oder nach Ablauf der maximalen Prüfzeit. Im Praxistest wurden mit jedem Laufrad 2 definier­-
te Abfahrten absolviert (2,2-Kilometer, 250-Höhenmeter). Dabei wurde jeweils zwischen 15- und 17-mal von 55 km/h auf 15 bis 20 km/h verzögert.

Das Sys­temgewicht aus Fahrer und Rad betrug rund 90 Kilo, der Reifendruck 7,5 Bar.

Fazit: Carbon-Laufräder können nur bedingt überzeugen

Der Schwachpunkt fast aller Carbon-Clincher zeigte sich auf der Waage: Abgesehen vom nur 1.202 Gramm schweren Lightweight-Set, belasteten alle Sätze die Waage mit rund 1.400 Gramm, die Schlusslichter von Bontrager und Zipp sogar mit über 1.500 Gramm.

Der Grund für dieses Über­gewicht: die Felgen, die für ausreichend Stabilität an den belas­teten Bremsflanken mit vergleichsweise viel Material gebaut werden müssen. In Anbetracht der exorbitanten Preise ist das Gewicht enttäuschend: Ein Alu-Mittelklasse­laufrad für 500 Euro wiegt auch nicht mehr.

Natürlich nennen die Hersteller den aerodynamischen Vorteil der hohen Felgen als weiteres Argument pro Carbon. Doch dieser Vorteil lässt sich nicht allgemeingültig beziffern, da die Aerodynamik eines Laufrades immer auch vom Rahmen-Gabel-Set beeinflusst wird. Als seriöses Testkriterium taugt die Aerodynamik deshalb nicht – wohl aber als Thema für heiße Diskussionen.

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5 / 2024
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Erscheinungsdatum 09.04.2024