Gravelgruppen im Vergleich
Shimano, Sram, Campa: Wer baut die beste Gravelgruppe?

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Gravel boomt – und längst bieten Shimano, Sram und Campagnolo spezifische Gravel-Komponenten zum Schalten und Bremsen an. Was sind deren Besonderheiten und wie findet man die für sich passenden Produkte? Eine Orientierung.

Shimano, Sram, Campa: Wer baut die beste Gravelgruppe?
Foto: Bjoern Haenssler

Spezifische GravelKomponenten – echte Technikinnovationen oder nur Marketing?

Eine naheliegende Frage, deren Antwort irgendwo in der Mitte liegt. Selbstverständlich bieten spezielle Schalt- und Bremskomponenten fürs Gravelbike auch spezifische technische Lösungen – etwa andere Übersetzungen als Straßenkomponenten, die besser zum Fahren auf Schotter passen, Dämpfer im Schaltwerk, die für mehr Kettenspannung sorgen, Federgabeln (Sram) oder robustere Materialien und teilweise verstärkte Dichtungen (Campagnolo). Zur Wahrheit gehört aber auch, dass diese Komponenten – zumindest bei Shimano und Sram – auf bestehenden Mountainbike-Technologien aufbauen. Felgenbremsen gibt es im Gravelbereich übrigens überhaupt keine mehr. Im folgenden lest ihr im Detail, was die großen drei Komponentenhersteller anbieten.

Was bieten die drei großen Marken an?

SHIMANO

Unter dem Label GRX kombiniert der Weltmarktführer seit 2019 bewährte Rennrad- und Mountainbike-Technologien zu spezifischen Gravel-Komponentengruppen. "Die GRX verbindet das Beste aus den beiden Welten Rennrad und MTB", sagt Michael Wild, Marketingleiter bei Shimano-Importeur Paul Lange, "und ein bisschen wiederholt sich die Geschichte: In den 1980ern, als die Mountainbike-Welle aus den USA herüberschwappte, war Shimano der erste Komponentenhersteller, der mit der Deore XT eine spezifische Komplettgruppe anbot – nun war die GRX weltweit die erste Gravel-Gruppe." Dass für Shimano Gravel mehr ist als ein vorübergehender Trend, zeigt sich schon daran, dass bereits die erste GRX-Generation mit großem Angebot und für viele Geldbeutel erschwinglich auf den Markt kam: Shimanos GRX gibt’s wahlweise als elektronische oder mechanische Ausführung, mit 1- oder 2-fach-Kurbeln und 10- oder 11-fach-Schaltwerken. Die 11-fach-Komponenten mit den Kürzeln 800 bzw. 600 liegen etwa auf Ultegra- bzw. 105-Niveau, der 10-fach-Antrieb der 400er-Serie entspricht qualitativ etwa Shimanos Tiagra-Gruppe. Einen 12-fach-Antrieb – wie bei den neuesten Straßengruppen – gibt’s unter GRX-Label hingegen (noch) nicht.

Bjoern Haenssler
Shimano bietet die Gravelgruppe GRX in zahlreichen Ausführungen, Preisklassen sowie in elektronisch und mechanisch an.

ANTRIEB

Wie gewohnt sticht bei Shimano der Umwerfer hervor – in der mechanischen, besonders aber in der elektronischen Ausführung: blitzschnelle, hochpräzise Gangwechsel, auch bei viel Druck auf der Kette. Im GRAVELBIKE-Dauertest war auf 10 000 Kilometern über Stock und Stein kein einziger Kettenabwurf zu beklagen. Auch das Schaltwerk überzeugte im Dauereinsatz: Dank des Shadow RD+ genannten Kettenstabilisierungssystems sind leise, leichtgängige und präzise Schaltvorgänge die Regel. Interessant: Wer nur ein Kettenblatt fährt und keinen Umwerfer braucht, bekommt für die mechanische 800er-Serie optional einen linken Schalt-/Bremsgriff, mit dem sich eine versenkbare Sattelstütze bedienen lässt. Apropos Griffe: Die kommen bei der GRX Di2 schlanker und mit anderen Griffgummis als bei den Straßenpendants und glänzen mit Top-Ergonomie.

BREMSEN

Vom Mountainbike übernommen, führte Shimano erstmals bei der GRX die sogenannte Servo Wave Technologie an den Bremshebeln ein (nur 800er-Serie), die den Leerweg des Hebels verkürzt: für früher einsetzende Bremswirkung, sehr gute Kontrolle und ordentliche Power bei minimaler Handkraft. Da zugleich der Abstand der Beläge zur Scheibe vergrößert wurde, gibt’s weniger Geräusche durch schleifende Bremsen. Mit den jüngsten Generationen von Dura-Ace, Ultegra und 105 hat die Technologie mittlerweile auch am Straßenrennrad Einzug gehalten.

GRAVELBIKE-Magazin

SRAM

Erst im vergangenen Jahr lancierten die US-Amerikaner ihre kabellosen Elektro-Gruppen Red, Force und Rival auch als Gravel-Versionen XPLR (explore, englisch für erkunden, entdecken). Herzstück sind spezifische Gravel-Übersetzungen mit 1-fach-Kurbel und 12-fach-Kassetten mit 10–44 Zähnen – bis dahin musste man bei Sram für solche Aufbauten Rennrad- und Mountainbike-Komponenten mit entsprechend großen Gangsprüngen mischen. "Schaltwerksdämpfer für eine hohe Kettenspannung bieten wir aber auch in allen ‚normalen‘ AXS-Schaltwerken an, einfach weil wir davon überzeugt sind, dass ein leiserer Antrieb und das Verhindern von Kettenschlagen auch auf Asphalt sinnvoll sind", betont Alvise Rizzi, PR-Manager von Sram. Darüber hinaus hat Sram einige weitere hauseigene MTB-Produkte zu XPLR-Gravel-Parts weiterentwickelt, darunter die RockShox-Federgabel Rudy Ultimate XPLR mit wahlweise 30 oder 40 Millimetern Federweg sowie die versenkbare Sattelstütze RockShox Reverb AXS XPLR, die auf Knopfdruck eine um 50 bzw. 75 Millimeter tiefere Sitzposition ermöglicht. Zipp-Laufräder, -Lenker und -Reifen, die ebenfalls das XPLR-Label tragen, unterstreichen die Bedeutung, die man bei Sram dem Thema beimisst.

Typisch Sram: 12-fach-Antrieb mit 1-fach-Kurbel und elektronischem, per Funk angesteuertem Schaltwerk.

ANTRIEB

In puncto 1-fach-Kurbel am Rennrad oder Gravelbike haben die US-Amerikaner Pionierarbeit geleistet. Während sich das Thema auf der Straße allerdings nicht durchsetzen konnte, ist es abseits asphaltierter Wege mittlerweile gesetzt. Und kein Anbieter bietet bei 1-fach-Kurbeln so viele Kettenblattgrößen, Leistungsmessoptionen und Qualitätsstufen wie Sram. Darüber hinaus setzen die US-Amerikaner kompromisslos auf Elektronikschaltungen. Ältere mechanische Antriebe sind zwar noch erhältlich, führen aber im Produktportfolio inzwischen ein Nischendasein. Praktisch: Die kompakten Wechsel-Akkus sind schnell aufgeladen, und wer auf mehrtägige lange Tour geht, nimmt einfach einen Ersatzakku anstelle von Ladegerät und Kabel mit. Die versenkbare Sattelstütze setzt übrigens auf den gleichen Akku – bei Batterienotstand wäre also ein Backup an Bord.

BREMSEN

Erst unlängst überzeugten Sram-Bremsen im großen ROADBIKE-Scheibenbremsentest in Labor und Praxis – mit erstklassiger Bremspower, guter Dosierbarkeit, beeindruckender Hitzeresistenz und hoher Standfestigkeit. Auch in GRAVELBIKE-Dauertests gefielen die aktuellen Force-Bremsen bislang: Sie bremsen auch nach vielen tausend Kilometern zuverlässig, der Belagverschleiß ist gering, Quietschen so gut wie nie ein Problem. Die Hebelergonomie ist identisch zu den Straßenparts.

CAMPAGNOLO

In Ermangelung einer eigenen Mountainbike-Sparte konnte man bei Campagnolo anders als bei Shimano und Sram nicht auf die Erfahrung mit bestehenden MTB-Produkten zurückgreifen. Die im Herbst 2020 vorgestellte Ekar-Gruppe hat dennoch für viel Begeisterung gesorgt: zum einen wegen des innovativen 1x13-Antriebs mit kleinem 9er-Ritzel, zum anderen weil Campagnolo mit rein europäischer Produktion deutlich weniger betroffen war von den globalen Logistikquerelen und den Lieferkettenunterbrechungen der Branche. "Wir bekommen aber auch ausgesprochen positives Feedback auf das Produkt als solches", betont man bei Campagnolo auf ROADBIKE-Anfrage. Wenig verwunderlich, bietet Campagnolo mit 13 Gängen am Hinterrad gegenüber Shimano und Sram doch nicht nur ein oder zwei Gänge mehr, sondern auch eine sehr harmonische Abstufung. Bei den Ekar-Gravel-Komponenten setzt Campagnolo mehrheitlich auf robuste Teile aus Aluminium und Stahl – anders als bei den Carbon- und Titan-verliebten Straßengruppen. Dem neuen Innenlager spendierten die Italiener zudem einen zusätzlichen Dichtring gegen Staub, Schmutz und Schlamm. Und das Schaltwerk mit nur einer einzigen Käfiglänge kommt als einziges im Campagnolo-Portfolio mit einem Dämpfer, der die Kette am Schlagen hindert.

Bjoern Haenssler
Von den drei großen Komponentenherstellern setzt nur Campagnolo auf 13 Ritzel. Das erste 1x13-Ensemble brachte die spanische Marke Rotor auf den Markt.

ANTRIEB

Okay, auch Rotor bietet einen 13-fach-Antrieb an, doch der spanische Komponentenhersteller verkauft seine Hydraulikgruppe in eher geringen Stückzahlen. Campagnolos mechanische Ekar dagegen hat sich im Gravel-Segment zu einer echten Alternative zu Shimano und Sram entwickelt. Das edle Carbon des 1-fach-Kurbelarms schützt Campa mit Endkappen aus Gummi. Die Kettenblattschrauben sind, anders als bei den Straßenkurbeln, von außen zugänglich – wer oft zwischen Asphalt und Schotter wechselt und die Gänge anpassen möchte, kann das Kettenblatt mit geringem Aufwand wechseln. Optisch ungewöhnlich, funktional top: der im Vergleich zu den Straßengruppen größere Daumenschalthebel.

Bjoern Haenssler
Der Daumenschalthebel ist ein bewährtes Alleinstellungsmerkmal von Campagnolo-Schaltungen - und sehr gut zu bedienen.

BREMSEN

Im jüngsten Scheibenbremsentest zeigte die Campa Chorus etwas schwächere Laborergebnisse als die Konkurrenz – die Campa Ekar Disc ist baugleich. Im GRAVELBIKE-Dauertest gefiel die Ekar-Bremsanlage aber, nicht zuletzt wegen ihres unverwechselbaren Ansprechverhaltens: Die gemeinsam mit Magura entwickelte Bremse greift im ersten Moment etwas weich, später deutlich kräftiger zu. Die Griffe mit ihren geschwungenem Bremshebeln liegen hervorragend in der Hand. In Ermangelung eigener MTB-Parts kann man bei Campagnolo – anders als bei Shimano und Sram – nicht durch Teilemix auf größere 180-mm-Bremsscheiben aufrüsten, etwa fürs Bikepacking oder bei höherem Fahrer-/Systemgewicht.

Sind die Komponenten gerade überhaupt lieferbar?

Eine berechtigte Frage angesichts der Verwerfungen der letzten zweieinhalb Jahre. Bei Shimano sieht man inzwischen Anzeichen einer leichten Entspannung, auch wenn von einer Normalisierung noch niemand sprechen mag – Fluch und Segen sind für die Japaner die enormen Volumina, die der Markt von ihnen verlangt. Sram betont, die eigene Produktion gegenüber der Zeit vor Corona um mehr als das Doppelte gesteigert zu haben, räumt aber nach wie vor – je nach Region und benötigtem Teil – lange Lieferzeiten ein. Bei Campagnolo wiederum freut man sich, unter anderem wegen europäischer Produktion und kurzer Lieferwege, insbesondere mit der Ekar-Gruppe Marktanteile gewonnen zu haben. Aufgrund der kleineren Produktionsumfänge könnten aber auch hier nicht alle Anfragen bedient werden. Kurz: Die Verfügbarkeit von Teilen bleibt angespannt, ist aber nicht hoffnungslos.

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Moment RF
Wie Sie sehen, sehen Sie nichts - in den letzten Jahren auch für Gravelbikerinnen und -biker ein bekanntes Phänomen.

Wie finde ich die am besten für mich geeignete Gruppe?

Das hängt sehr stark davon ab, was man unter "Gravel" versteht: Wer mit dem Gravelbike mehrheitlich auf Asphalt unterwegs ist und nur hin und wieder offroad fährt, profitiert von der Übersetzungsvielfalt der 2-fach-Kurbeln von Shimano bzw. wird mit dem breiten 13-fach-Antrieb von Campagnolo glücklich. Wer vor allem über Stock und Stein flitzt, sollte ernsthaft über eine 1-fach-Kurbel und womöglich sogar eine Federgabel und eine Variostütze nachdenken, wie sie Sram anbietet. Wichtig ist auch, die Topografie der eigenen Gravel-Ausfahrten im Hinterkopf zu behalten – wie auf Asphalt gilt: lieber flüssig kleine Gänge treten als bergauf "die dicke Berta" drücken. Die Frage, wo man fährt, kann ebenfalls relevant für die Kaufentscheidung sein: Wer als Bikepacker die Welt erkunden möchte, wird in abgelegenen Gegenden eher Shimano-Ersatzteile finden als Elektronikbauteile von Sram oder die noch immer eher exotischen Parts von Campa. Abschließend der wichtigste Tipp, gerade angesichts der aktuellen Knappheit an verfügbaren Kompletträdern: Einfach das erstbeste Rad zu nehmen, nur weil es kurzfristig lieferbar ist, kann sich rächen. Besser: im Vorfeld sorgfältig abwägen, ob die verbauten Komponenten tatsächlich zum eigenen Anspruch passen.

Muss ich Gravel-Parts anders pflegen?

Nein, man benötigt keine spezifischen Pflegemittel oder Putzkenntnisse. Wichtig ist aber, Gravel-Komponenten möglichst regelmäßig und sorgfältiger zu putzen als reine Straßenteile. Wer häufig über Schotter und durch Schlamm fährt, beansprucht sein Rad in deutlich höherem Ausmaß als im Straßeneinsatz – Staub, Wasser und Schmutz setzen dem Antriebsstrang und der Bremsanlage zu wie Schmiergelpapier: Ketten, Kettenblätter,Ritzel und Schaltröllchen nutzen sich deutlich schneller ab, Bremsen quietschen, Bremsbeläge erreichen früher die Verschleißgrenze. Um – gerade in Zeiten angespannter Ersatzteilversorgung – die Lebensdauer der Komponenten zu erhöhen, gilt, auch wenn’s nervt: Nach jeder Tour wenigstens eine "Katzenwäsche": Kette reinigen, Staub abspülen und Bremsanlage checken. Und in regelmäßigen kurzen Intervallen: Großputz!

Bjoern Haenssler
Gravelantriebe verschleißen bei häufigem Geländeeinsatz meist schneller. Regelmäßige Kontrolle und Wartung sind deshalb Pflicht.

Wie geht es weiter mit Gravel-Produkten?

Gravel ist weit mehr als ein Trend, in diesem Punkt sind sich die großen Anbieter einig, etliche Fahrradhersteller verkaufen längst mehr Gravelbikes als Rennräder. Entsprechend werden Shimano, Sram und Campagnolo auch künftig mit neuen Produkten und Weiterentwicklungen um Marktanteile kämpfen. Bei Shimano dürfte mit einer Übernahme der 12-fach-Technologie aktueller Mountainbike- und Rennradgruppen zu rechnen sein. Spannend bleibt, ob ein solcher 12-fach-Antrieb auch mechanisch oder weiterhin nur elektronisch verfügbar sein wird. Spätestens 2023 dürfte diese Frage beantwortet werden. Sram zeigt mit Federgabel und Dropper Post schon heute Mut und Innovationsgeist. Riemenantrieb, neue Übersetzungskonzepte, Heckfederung? Den US-Amerikanern ist einiges zuzutrauen! Campagnolo schließlich feiert 2023 seinen 90. Geburtstag. Dass die Italiener zum Jubiläum ihre (Gravel-)Palette ausweiten und Neuentwicklungen zeigen werden, darf als sicher gelten. Bleibt die Frage: Wird das Thema Aerodynamik – aktuell noch ein eher zartes Pflänzchen im Gravel-Universum – künftig an Bedeutung gewinnen? Und in welchem Ausmaß? Klar ist: Wir stehen noch ganz am Anfang einer Entwicklung.

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