Interview zum Thema Carbon-Gravelbikes
Gravelbike aus Carbon – Sinnvoll oder nicht?

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Im Highend-Bereich sind Carbon-Gravel-Bikes längst Standard. Doch für wen machen die teuren Räder Sinn? Wir haben bei Volker Dohrmann von Stevens nachgefragt.

Gravelbike aus Carbon – Sinnvoll oder nicht?
Foto: Getty Images/Flavio Coelho

Das schwarze Gold – diesen Beinamen trägt Carbon nicht ohne Grund. Denn aufgrund seiner Eigenschaften gelten Kohlenstofffasern als Wunder-Werkstoff. Härter als Stahl und leichter als Aluminium sorgen sie dafür, dass Flugzeuge Gewicht und damit Treibstoff einsparen. In der Automobilindustrie machen sie Fahrzeuge leichter und damit schneller. Und im Sport helfen sie Athletinnen und Athleten aufgrund ihrer Leichtigkeit und ihrer Steifigkeit dabei, weniger Kraft zu verbrauchen. Kurzum: Carbon ist anderen Materialien in vielen Bereichen überlegen – und dementsprechend beliebt.

Das gilt selbstverständlich auch für Gravelbikes. Bei einer von GRAVELBIKE im Jahr 2021 durchgeführten Online-Umfrage gab so ein knappes Drittel der befragten Leserinnen und Leser an, ein Kohlefaser-Schotterrad zu besitzen (28 Prozent). Damit lag Carbon gleichauf mit Aluminium (28 Prozent) und Stahl (33 Prozent) – ein klares Indiz für die Beliebtheit des Verbundwerkstoffs.

Gravelbike Carbon – Vorteile und Nachteile

Doch Carbon hat nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile, die man bei der Kaufentscheidung berücksichtigen sollte. Im Vergleich zu Aluminium ist das edle Material beispielsweise weitaus teurer. Darüber hinaus ist Carbon sehr empfindlich – insbesondere im Hinblick auf punktuelle Krafteinwirkungen. Nach einem Sturz ist es daher durchaus möglich, dass der Rahmen Schaden genommen hat. Und last but not least hat Carbon im Hinblick auf das Thema Nachhaltigkeit klare Nachteile gegenüber Aluminium, da das Recycling sehr schwer ist.

Doch für wen eignet sich nun ein Gravelbike aus Carbon? Um das zu klären, haben wir mit einem Experten gesprochen, der es wissen muss: Volker Dohrmann arbeitet seit 33 Jahren als Brand-Manager für den Radhersteller Stevens. Die Hamburger waren einst einer der Pioniere im Cyclocross-Sport und demnach auch im Gravel-Segment einer der Vorreiter. Mit ihm sprachen wir über die Vor- und Nachteile von Carbon als Werkstoff für Schotterrennräder.

Stevens
Herr Dohrmann, Wie sieht bei Stevens das Verhältnis von Alu- und Carbon-Gravelbikes aus?

Volker Dohrmann: Ich habe im Vorfeld dieses Interviews unsere Verkaufszahlen angeschaut: Ungefähr kommt bei uns ein Carbon-Gravelbike auf drei Aluminium-Gravelbikes. Der Hauptgrund ist dafür sicherlich der Preis. Carbon-Gravelbikes gibt es bei uns ab einem Level von 2.500 EUR. Alu beginnt dagegen bereits bei 1.299 EUR.

Welche Vorteile hat Carbon gegenüber Aluminium?

Dohrmann: Der größte Vorteil ist sicherlich das Gewicht. Man kann schon sagen, dass ein Carbon-Rahmen mitsamt Carbon-Gabel bis zu 1,5 Kilogramm gegenüber einem Aluminium-Setup einspart. Gerade im Wettkampf macht das einen großen Unterschied. Beim Cyclocross ist dieser vielleicht sogar noch größer, wegen der vielen Beschleunigungsmanöver im Vergleich zum Gravel. Aber auch ansonsten hat Carbon Vorteile: So sind die Räder agiler, außerdem sind sie leichter zu tragen.

Es gibt aber auch Nachteile – etwa die Verletzlichkeit bei Stürzen …

Dohrmann: Das stimmt. Aber hier hat sich technisch in den letzten Jahren einiges getan. Ich selbst bin beispielsweise bereits mit einem Carbon-Hardtail-Mountainbike in den peruanischen Anden unterwegs gewesen. Derzeit unterstützen wir zudem zwei Bloggerinnen aus Göttingen, die gerade die Panamericana auf einem "Camino Pro Gravel Carbon"-Gravelbike fahren. Die haben Gepäck dabei und gehen alles andere als zimperlich mit den Rädern um – trotzdem halten sie. Das zeigt sehr gut, wie robust die verbesserten Herstellungsverfahren Carbon in den letzten Jahren gemacht haben.

Stevens
Sind diese Vorurteile zur Empfindlichkeit von Carbon unbegründet?

Dohrmann: Nicht ganz. Wir stellen inzwischen seit 15 Jahren Carbon-Cyclocrosser und -Gravelbikes her. In dieser Zeit hat sich die Fahrradindustrie weg vom Leichtbau-Wahn bewegt. Die Fertigungstechnologien sind besser geworden und man muss heute nicht um jeden Preis jedes Gramm sparen, weil es auch auf andere Eigenschaften wie Aerodynamik oder Komfort ankommt. Auch haben sich die Qualitätskontrollen weiterentwickelt. In unserem Service gibt es heute kaum Beanstandungen.

Wem empfehlen Sie konkret ein Carbon-Gravelbike? Und wer sollte stattdessen lieber zu einem Alu-Gravelbike greifen?

Dohrmann: Letztlich ist es eine Kosten-Nutzen-Rechnung, die jeder machen muss. Wenn ich nur fünf bis zehn Kilometer durch die Stadt pendle und das Gravelbike dann an der Uni abschließe, dann ist ein Metallrad sicherlich viel praktischer. Es ist nicht so wertvoll und verträgt einen starken Stoß eines Schlosses besser. Wenn ich dagegen sehr viel trainiere und lange Strecken fahre, dann ist Carbon im Vorteil.

Trotzdem fährt die Mehrzahl ihrer Gravelbikerinnen und Gravelbiker auf Aluminium. Wird Carbon Alu irgendwann einholen?

Dohrmann: Das glaube ich nicht. Ich denke, dass das eingangs angesprochene 1:3-Verhältnis relativ fixiert ist. Vielleicht verschiebt es sich einmal in Richtung 1:2,5. Der Grund ist schlicht der teurere Preis für Carbon. Die derzeitige wirtschaftliche Situation wird ihr Übriges dazu beitragen, dass sich die Leute zweimal überlegen werden, ob sie zum bewährten Aluminium oder zum teureren Carbon greifen.

Herr Dohrmann, vielen Dank für das Gespräch!

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Erscheinungsdatum 03.09.2024